OÖ. Heimatblätter 1949, 3. Jahrgang, Heft 2

Hoffmann: Aufgaben der geschichtlichen Landesforschung in Oberösterreich Weiterhin wird zu untersuchen sein, ob nicht die Entstehung und Ent¬ wicklung des Bürgerstandes doch auch letzten Endes auf alte Kolonisten¬ freiheiten zurückgeht, mit dem Unterschiede allerdings, daß hier die Staatsgewalt (Königtum, Landesfürst) in bewußtem Gegensatze zu den Herrschaften Freizonen von den alles überwuchernden grundherrlichen Bindungen schaffen wollte. Verfehlt wäre es jedenfalls, wozu freilich die Privilegienpolitik verleitet, anzunehmen, daß die bürgerlichen Siedlungen als bloße Individuen für sich allein entstanden; es scheint vielmehr, daß die bürgerlichen Siedlungen höheren Rechts, die Städte, in der Hauptsache als Knotenpunkte an die von alters her für den freien Handelsdurchzug bestimmten öffentlich-rechtlichen Straßen, gesetzt wurden. Die noch ganz im Dunkeln liegende Straßenforschung und die Ver¬ kehrsgeschichte wird nicht bloß für die allgemeinen Siedlungsvorgänge, sondern auch für die Städte- und Marktgeschichte grundlegende Erkenntnisse bieten; Hand in Hand damit wäre der Geschichte der Mauten und des Mautwesens, welches hier eine Schlüsselstellung einnimmt, eine eingehende Untersuchung zu widmen. Wenig bekannt ist uns trotz aller Städteforschung (und zwar deshalb, weil diese immer nur den einzelnen Ort im Auge hatte) über die Funktionen des Bürgertums im mittelalterlichen Staat, insbesonders auch in wirtschaftlicher Hinsicht; das gilt nicht bloß für die Geschichte des Handels, der ureigenen Domäne des Bürgertums, sondern insbesonders auch für die allgemeine Ge¬ werbegeschichte, die dringend einer über zünftlerische Details hinausgehen¬ den Erforschung bedürfte. Die Aufteilung des mittelalterlichen Wirtschafts¬ lebens zwischen bäuerlich-grundherrschaftlichem Ein¬ flusse und dem städtisch-bürgerlichen Machtbereiche, die Wandlungen, die sich hier im Laufe der Jahrhunderte vollzogen haben, das alles sind Fragen, die noch der Lösung harren; als Beispiel sei hier nur angeführt, daß man den Eindruck hat, daß sich mit der Entwicklung des städtischen Wesens die Gewerbe aus dem grundherrschaftlichen Verbande losgelöst haben und in der Stadt sich zu qualifizierten Spezialbetrieben entwickeln konnten. Seit dem späten Mittelalter und hauptsächlich dem Beginne der Neuzeit tritt eine umgekehrte Bewegung ein: die Gewerbe wandern von den Städten wieder auf das Land, um sich hier unter dem Schutze der Grundherrschaften, vielfach zum Schaden der Städte, auszubreiten. Mit diesen Strukturwandlungen im Wirtschaftsleben sind auch sehr interessante und bisher unerforschte Veränderungen im soziologischen Aufbaue der städtischen Bevölkerung verbunden; in der Zeit der ersten Blüte des Städtewesens können wir beobachten, daß eine bestimmte Schichte, deren Namensträger wir in allen verschiedenen Städten antreffen, als Träger des Bürgertums erscheint. Da sie vielfach Titel und Ehrenrechte führt, die sonst dem Kleinadel zukommen, müssen wir annehmen, daß dieser zur Gründungs¬ 101

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