Oberöstereichische Heimatblätter dürfen in dieser Tradition nicht fehlen, im alten Puppenspiel hatte der Hans¬ wurst, z. B. in der Wiener Fassung, beinahe Faust verdrängt. Es läßt, wie schon erwähnt, den Zusammenhang dieses Stückes mit alten Faustspielen erkennen, wenn Freydenreich sein Drama ein „Lustspiel“ nennt, das es nicht ist: Hans¬ wurst tritt zwar auf, wird, wie im Puppenspiel des 18. Jahrhunderts, vom Sancho Pansa-artigen Diener zum Nachtwächter, der schließlich seinem verzweifelnden Herrn die Stunden zuruft, er spielt sich aber nicht in den Vordergrund und wird erst im vierten Akt eingeführt, eine der nicht zu leugnenden dramaturgischen Schwächen der Komposition. Die Szene der Berufung der schnellsten und mächtigsten Geister der Hölle ist dagegen Lessing nachgebildet, ja zum Teil wört¬ lich von ihm übernommen. Was von den Vorlagen fehlt, ist das Herzogtum Parma, und ist Helena; und auch die sonst so gern ausgespielte Perlicco-Perlacco-Szene Hanswursts mit den Geistern. Und natürlich wird hier keine Wette geschlossen um Faustens Seele, Luzifer gibt einfach Mephisto den Auftrag, den „verwegenen Sterblichen“, den Menschen zwischen Himmel und Hölle, zu holen. Dagegen spielt der Schutzgeist des alten Puppenspiels hier eine größere Rolle, und das christliche Gefühl läßt den Verfasser noch eine christliche Gegengestalt zu Faust ersinnen: den Mönch, der das Faustische in sich bezwungen oder geläutert hat. Wie in dem Faustdrama von Joh. Fr. Schink (1804), das zum Teil in Wien spielt, wie das des pommerschen Arztes Schöne (1809) zum Teil in Wiener-Neustadt, wird auch in dem des Oberösterreichers Faust nach Wien geführt, das zu erleben er „vor Begierde brennt“, und Mephisto will ihn zu einer Französin, einer Engländerin, einer Italienerin, zuletzt aber, im Sinne einer höchsten Steigerung, in die Arme einer „schmachtenden Wienerin“ führen, die nach der Meinung unseres Tragweiners mit dem Teufel in besonders engem Bunde steht. Jeder Faustdichter ist an Stoff und Vorlagen weitgehend gebunden. Man übersehe aber das Eigene nicht an diesem österreichischen, diesem oberösterreichischen Faust. Den sozialen, josefinischen Ton etwa, der aufklingt in der Szene mit dem Bauern (Faust fühlt hier wie die Sozialreformer des frühen 19. Jahrhunderts, die Szene ist geschrieben neun Jahre vor Kudlichs Bauernbefreiung!), das per¬ sönliche Ringen ferner nach Sinn und Unendlichkeit in einer zerbrochenen Welt. Wie tief lassen seine Worte blicken: „Der Mensch ist ein Mittelding zwischen Engel und Affe“, wieviel von einem fast Goetheschen Lebens¬ gefühl lassen die andern ahnen: „Einmal ganz glücklich, ist glücklich auf ewig. Es ist Pflicht und Ereignis der Heimat, dieses Werk einmal zu zeigen, besonders heute, da uns, in Theater, Schrifttum und Presse, Überfremdung zu ersticken droht. Es hätte keinen Sinn, von der Entdeckung eines unbekannten Dramatikers zu phantasieren; aber es liegt im ganzen eine eigenartige dichterisch¬ denkerische Leistung vor, die einen fesselnden Beitrag unserer Volksseele zu einem der größten und tiefsten Stoffe der Weltliteratur darstellt, von einem aus dem immer fruchtbaren Theaterlande ob der Enns. Auch in ihr, unserer Volksseele, in uns allen lebt Faust. 144
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