OÖ. Heimatblätter 1949, 3. Jahrgang, Heft 2

Nazinger: Der Tragweiner Faust also auch um Gretchen und ihr Schicksal geht und Faust dem Satan entrissen wird; die andere, frühere, führt vom Puppenspiel und Stegreifspiel zum ältesten selbständigen deutschen Faustdrama, zu dem billigen Rührstück des Wiener Beamten Paul Weidmann von 1775, diese Linie führt weiter zu Klinger und Klingemann, auf ihr liegt Freydenreichs Schauspiel. Kennzeichen dieser Tradition: Fausts Familie wird vorgeführt und spielt in der Handlung eine motivische Rolle, die Eltern oder auch nur, wie hier, der Vater, Fausts Weib, das vom Höhenflug ihres metaphysischen Gatten keine Ahnung hat, und Kinder (hier sind es zwei), an denen er schuldig wird; häufig erscheint Faust, wie hier, als Erfinder des Buchdrucks, in dem die guten wie die bösen Möglichkeiten bei sammen liegen wie in Faustens genialer Seele. Und zugleich herrscht in dieser Gruppe von Fauststücken Pessimismus vor (soweit die Aufklärung nicht, wie bei Weidmann, mildernd eingreift): der Teufel behält Recht und das Böse siegt, Faust fährt zur Hölle. Die dunkle Farbe der Melancholie liegt auch über den Szenen dieses Tragweiner Faust. Mephisto nennt den Menschen hier „zur Dunkelheit geboren, ein Spiel der Zweifel“, Faust stellt die unendliche Frage, ein ewiger Grübler — man könnte sich diesen Joseph Freydenreich vorstellen als einen der schweren, tiefen Sinnierer, an denen diese Landschaft der weiten Wälder und wellenden Hügel nicht arm ist. Schon die zweite Szene spielt auf einem Friedhof, und Hamlet¬ stimmungen drängen hier wie später an. Faust und Hamlet, die großen Philosophen im Drama der Weltliteratur, sie haben ja manches gemeinsam, und Gutzkow hat sie nicht umsonst in einem bedeutenden Einakter (Hamlet in Witten¬ berg) zusammengebracht. Vielleicht ist der Schluß zu gewagt, aber es scheint so, an mehreren Stellen so, als läge hier bei Freydenreich ein Einfluß Shakespeares vor: man fühlt sich an den pessimistischen Timon erinnert — gleich in der ersten Szene drängt sich Faust die Bitterkeit Timons über die ungetreuen Freunde auf — und an Hamlet besonders, in der Gestalt und den Reflexionen Fausts, der Vater gibt senil-kluge Ratschläge ganz in der Art des Polonius, Wagner ist hier ein treuer Begleiter bis zuletzt wie Horatio. Dieser Wagner hier ist anders als der Goethes: gewiß ist er auch hier ein Mensch ohne die metaphysische Unruhe, seine Sache ist das behagliche kleine Glück, die genügsam-friedliche Ruhe, vor allem aber ist er hier ein bürgerlicher Moralist; und wenn der Schluß vom Werk auf seinen Schöpfer hier nicht trügt, zeichnet der Dichter etwas von sich in ihm, der brave, ehrsame Handwerker von Tragwein, der es vielleicht nicht zu sagen, nicht zu zeigen wagt, daß, ach, in seiner Brust zwei Seelen wohnten; er selber, mit dem Gefühl seiner bürgerlichen Existenz, seines marktrichterlich-bürgermeister¬ lichen Ansehens, steckt in diesem Freydenreich-Wagner, der sich gleichsam vor der christlich-öffentlichen Meinung von Tragwein verbeugt, und sein anderes Ich ver¬ birgt. Und wie bei Weidmann finden wir uns hier nicht an der Wende zweier Zeiten — Mittelalter auf Neuzeit —, sondern in der Umwelt des gutbürgerlichen Trauerspiels der damaligen österreichischen Gegenwart. Komische Typen 143

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