OÖ. Heimatblätter 1949, 3. Jahrgang, Heft 2

Nazinger: Der Tragweiner Faust Der Tragweiner Faust Zur Uraufführung des Werkes im Puppenspieltheater Franz Püh¬ ringers im Linzer Rathaus am 2. April 1949 Von Dr. Hubert Razinger (Linz) Goethes Weltgedicht vom „Faust“, die Dichtung des volle Erkenntnis wie volles Leben verlangend-suchenden Menschen, der durch Irrtum zur Wahrheit, durch Schuld zur Begnadung, durch Genuß zur Arbeit für alle kommt, es über¬ leuchtet, eine Sonne, die mancherlei größeren und kleineren Sterne, die um sie kreisen. Von all den Faustbüchern, Faustversuchen, Faustdramen und -romanen vor, um und nach Goethe hat sehr wenig nur Leucht- und Lebenskraft bewahrt, denke man selbst an die Volksbücher, an Marlowe und Lessing aus der Zeit vor¬ her — einzig das Puppenspiel hat, in etlichen Fassungen, sich behauptetdie Maler Müller und Klinger, die Grabbe, Holtei und Klingemann während der sechs Jahrzehnte der Goetheschen Arbeit am „Hauptgeschäft“ seines Lebens, am Werk, das er uns hinterließ, ein bis heute in Wahrheit nicht entsiegeltes Testament — oder an die Heine und Lenau, die Vischer, Keim und Avenarius, die Turgenjew und Lunatscharskij nachher und seither. Aber da lebte, zur Zeit, da Goethe den zweiten Teil beendigte, im Markte Tragwein im Mühlviertel ein Lederer Joseph Freydenreich1), und er lebte nicht nur und waltete seines Berufes und Amtes, er sann, er grübelte (vielleicht war sein inneres Leben nicht so freudenreich wie sein Name), er sehnte sich, vielleicht, aus seiner kleinen, bürgerlich-ländlichen Enge ins Unbestimmte; es ward ihm, als er von der Geschichte des „Dr. Faust“ erfuhr (wir wissen nicht aus welchen Quellen), sehr innerlich zu Mute, als wäre er nun angesprochen; und er versann sich, und 1839, sieben Jahre nach der Goetheschen Vollendung, schrieb ei sein Theaterstück „Der Doktor Faust“, ein Lustspiel, so glaubt er es seltsamerweise und in äußerer Anlehnung an so manche vorgoethisch-volkstümliche Fassung nennen zu können, in fünf Aufzügen; der Ortslehrer Gregor Johann Koller schrieb das Manuskript „zusammen“, wie er sich ausdrückt. Noch manche Schriften und Bühnenversuche dieses Poeten aus dem Volke soll und mag es gegeben haben, sie gingen beim Brande Tragweins 1894 verloren 2), und keine *) Er war zugleich bis 1849 Marktrichter und anschließend der erste Bürgermeister von Tragwein, einem Geschlecht angehörend, das in Tragwein seit 1690 bis zum Tode des Joseph Freydenreich 1862 aufscheint. 2) Auch das Freydenreichsche Haus Nr. 11, eines der schönsten Häuser von Alt-Tragwein, brannte damals ab. Das bald neuerstandene Haus gehört heute einer Frau Maria Leeb, aus der Familie Leeb, der auch der Feldmarschall R. v. Leeb angehörte. Eine Tochter Freydenreichs war mit einem Leeb verheiratet, dieser vererbte das Haus an seinen Sohn Josef Leeb (+ 1947), die Witwe dieses Leeb und ihr Sohn sind derzeit auf dem Hause (Mitteilung des Tragweiner Gemeindesekretärs Herrn Otto Brunner). 141

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