OÖ. Heimatblätter 1949, 3. Jahrgang, Heft 2

Oberösterreichische Heimatblätter die übermäßige Inanspruchnahme beim nächtlichen Notenschreiben. Wenn Müllen wenigstens immer nur schöpferisch gearbeitet hätte; aber er mußte sich oft selbst der Kopistenaufgabe durch Stimmen-Ausschreiben vieler seiner Werke unterziehen. Welch entsetzlicher Raubbau an dem berufenen Kompositionstalent! Beim Spielen und Dirigieren konnte er sich in der letzten Lebenszeit viel weniger auf die Parti¬ turen als auf sein Gedächtnis stützen. Der Schreiber dieser Zeilen erlebte es selbst, wie Müller bei einer Probe, die er vom Klavier aus leitete, sich außerstande er¬ klärte, den kleinen Druck lesen zu können. Er legte die Noten weg und spielte die gar nicht häufig aufgeführte Mozartmesse eben auswendig. Müller sagte, daß das Augenleiden die größte Prüfung seines Lebens darstelle; er sei im Alter so voll von Musik wie noch nie und könne sie nicht zu Papier bringen. Mit höchster An¬ strengung komponierte er an größeren Werken in den letzten Jahren ein großes „Stabat mater“, das vom Linzer Brucknerchor im Mai 1949 uraufgeführt wurde, die St. Josefs -Messe und eine deutsche Franz Salesius -Messe. Ein am 8. Juni 1944 erfolgter „Schlaganfall“ war nichts anderes als ein Blutaus¬ tritt aus dem linken Auge ins Gehirn, als Folge der übergroßen Anstrengung bei der Niederschrift des an vorletzter Stelle genannten Werkes. Der aus dem Flo¬ rianerhaus vertriebene Greis hatte nämlich das Gelöbnis gemacht, für die Wieder erlangung einer Wohnung zu Ehren des hl. Josef eine Messe nicht nur zu kompo nieren, sondern auch das gesamte Stimmen-Material ohne fremde Hilfe selbst her¬ zustellen. Das letzte Mal im Nahmen seiner Verpflichtung als Domkapellmeister hat er am 1 5. August 1 943 dirigiert; am 1. September 1943 löste ihn Prof. Josef Kronsteiner ab. Seinen eigentlichen Abschied vom Dom feierte er mit der Leitung seiner Augustinus - Messe am Christ-Königsfest im Oktober des gleichen Jahres. Die mit so bösen Folgen erkaufte St. Josefs-Messe widmete er seinem Domchor, mit dem er sie Mitte 1944 zur Aufführung brachte. Außer acht Bläsern weist die Begleitung dieses Werkes auch einen konzertanten, auf drei Systemen notierten schwierigen Orgelpart auf, der als Ehrung für seinen langjäh¬ rigen Domorganisten Prof. L. Daxsperger gedacht war. Arg setzte Müller die gegenüber dem ersten vervielfachte Not des zweiten Weltkrieges mit seinen furchtbaren Bombenangriffen zu. Seine getreue Wirtschaf¬ terin Resi, die ihn durch 20 Jahre betreute, erzählte, daß er bloß zweimal vor der entsetzlichen Gefahr Zuflucht in dem sicheren Luftschutzstollen der „Urfahrwänd' gesucht hatte. Für den Herzleidenden war der Aufenthalt unter 9000 aufs höchste verzagten Menschen eine Unmöglichkeit. So machte er die letzten Massenangriffe im Keller der Jesuiten oder des seiner Wohnung besonders nahen Oblatinnen¬ Klosters mit. Nach dem größten, für die Stadt so verhängnisvollen Luftangriff am Karsamstag 1945 fand auch Müller bei der Rückkehr aus dem Keller ein Meer von Schutt und Scherben vor: die Fenster sämtlich zerschlagen, die Türen aus den Angeln, Gesimsteile von der Außenwand des Hauses gerissen. Mit bewunderungs würdiger Geduld ertrug Müller sein Los, durch sein Augenleiden von jeder musi¬ kalischen Arbeit abgeschnitten zu sein. Als Ausgleich dafür konnte er sich nicht ge 136

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