Unfried: Franz kaver Müller Himmelfahrt, für das Herz Jesu- oder das neueingeführte Christ-Königsfest hatte es vorher nicht gegeben und wird es auch sobald nicht wieder geben. Das sind Perlen der Tonkunst schlechthin, nicht nur etwa gute liturgische Gebrauchsmusik. Bewunderswert bleibt dabei, wie unser Meister trotz der geschilderten Vorliebe für Prachtentfaltung sich stets knapp auszudrücken versteht. Man hat bei diesen Sätzen das Gefühl symphonischer Größe und gleichzeitig das bester liturgischer Verwend¬ barkeit. Das Schaffen Müllers weist eine überragende Fülle von Proprien für alle möglichen Besetzungsarten, wie er sie grade brauchte, auf, aber nicht ewa als Zyklus für das ganze Kirchenjahr. Die Lücken, die zu dieser Geschlossenheit fehlen, auszufüllen, wäre Müller ein Leichtes gewesen. Aber seine Proprien sind eben doch mehr als eine „vollständige Sammlung aller Gradualien“ oder „Offertorien des ganzen Kirchenjahres“, wie sie von einigen Komponisten vorliegen. Der be¬ scheidene Priester-Komponist aber verschwendete seine Einfälle einmal für ge¬ mischten, einmal für Frauen- oder Männerchor, a capella, mit Bläsern, kleinem oder großem Orchester, wie es der Messe entsprach, die aufzuführen es gerade galt, und je nachdem, ob ihm mehr oder weniger Sänger und Instrumentalisten zur Verfügung standen. Dabei überlegte er niemals, ob in kommenden Jahren er selbst oder gar andere Kirchen diese Besetzung brauchen könnten. Mit Ausnahme der gleich zu besprechenden Augustinus-Messe dachte er also zunächst neben seiner Arbeit an den Proprien weniger an eine Vermehrung des ohnehin reichhaltigen Repertoires an Messen. Was er an solchen geschaffen hat, fällt zum größeren Teil in seine späte Zeit als Domkapellmeister; sie seien hier gleich aufgezählt. Die Rudigier-, Namen Jesu-, St. Xaverius-, St. Josefs-Messe, die Missa diatonica in hon. Sae. Caeciliae, eine deutsche Messe auf einen Text von Pesendorfer, eine deutsche Marien - Messe (Text von Erna Zwernemann), die deutsche Sankt Josefs - Messe und die in seinen letzten Lebenstagen 1948 geschriebene Franz Salesius-Messe. (Die Besetzungen zu diesen Messen siehe im anhängenden Werk verzeichnis.) Von all diesen Arbeiten seines schöpferischen Geistes berichten uns die Tage¬ bücher nichts. Eine Ausnahme bilden nur drei große Werke. Als erstes freut er sich sichtlich über die Erfolge der allerorts mit großem Beifall gesungenen „Augustinus-Messe“. Sie wurde zur Sekundiz des Prälaten Josef Sailer am 10. April 1912 uraufgeführt. Die gleiche Genugtuung erfüllt ihn über die günstige Aufnahme seiner zwischen dem 25. Februar und 7. Mai 1910 kompo¬ nierten Symphonie in D-Dur, die am 29. November desselben Jahres in St. Florian uraufgeführt wurde und bei einem Musikvereinskonzerte in Linz am 26. November 1911 und bald in Steyr zu hören war. Sie erinnert nicht nur im Stil der großen Linie, sondern auch in ihrer Länge von über einer Stunde Spiel¬ dauer an Bruckner. Wenn ein Vergleich mit diesem gestattet ist, so entspräche sie der „Nullten“, also der Symphonie, die Bruckner vor seiner von ihm selbst als erster anerkannten Symphonie geschrieben hat; denn der größere Meister war zur Zeit der „Nullten“ im selben Alter wie der kleinere während der Komposition 131
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