OÖ. Heimatblätter 1949, 3. Jahrgang, Heft 2

Oberösterreichische Heimatblätter Was das kompositorische Schaffen unseres Meisters anlangte, so lag sein Schwerpunkt in dieser Zeit ebenso wie später während der Domkapell¬ meister-Jahre in der Schöpfung eines Propriumsgesangs nach dem an¬ deren. Das hängt zwar unmittelbar mit der Tätigkeit als Chorleiter zusammen. Doch zeigt sich darin auch der moderne liturgische Geist Müllers. Wenn wir die Stellung der feststehenden zu den wechselnden Meßgesängen in der Geschichte der Kirchmusik betrachten, so verschiebt sich allmählich der Schwerpunkt von diesen zu jenen. Der Gregorianische Choral dachte sich die verhältnismäßig einfachen syl¬ labischen Melodien zu Kyrie, Gloria usw. vom Volk vorgetragen, während schwierigen melismatischen Stücke des Introitus, Graduale, Alleluja usw. dem ge¬ schulten Chor vorbehalten waren. Verlangt doch das Feststehende, immer Wieder¬ kehrende viel weniger Übung als das mit jedem Tag Wechselnde. Auch vom rein musikalischen Standpunkt boten die Wechsel-„Gesänge“ einen weit größeren Anreiz zur Komposition als etwa das Kyrie, das ja gar keine musikalische Form an sich st, sondern ein Wechselruf, oder das Credo, eine Aneinanderreihung von Dogmen. In dem Maße, als der Sängerchor dem Volk das Singen als eine wichtigste Außerung der aktiven Teilnahme am Opfer aus der Hand nahm, wandte er sich dem ihm ursprünglich gar nicht bestimmten Ordinarium zu. Diese Entwicklung führte als Zeichen des immer mehr schwindenden liturgischen Bewußtseins zu der Gepflogenheit, in die im Festschmuck höchster Kunst prangende Messe „Einlagen einzuschieben — so ist der Name für diese zu Lückenbüßern herabgesunkenen Ge sänge. Ihre Texte wurden höchstens gerade noch in einem musikalisch unbedeuten¬ den Chorsatz oder „nur“ im Choral, d. h. in verstümmelter Fassung dieses Hoch¬ gesanges der Kirche wiedergegeben oder gar bloß rezitiert und blieben schließlich häufig ganz weg. Wenn ein Dirigent an einem hohen Fest zu der feierlichen Messe auch entsprechende Einlagen wollte, dann griff er unbekümmert zu irgendwelchen, für den Tag gar nicht passenden Ehören. So hörte man dann an Festen des Herrn etwa ein Ave Maria als Offertorium oder an Marientagen an derselben Stelle eine eucharistische Motette. Der Introitus wurde meist einfach ausgelassen. Müller nun ist barocke Klangpracht ebenso eigentümlich wie Bruckner. Beider Geist ist in dem herrlichen Stift und seiner Kirche, in diesem Juwel der Baukunst, verwurzelt, nicht zuletzt auch in der Landschaft von St. Florian mit ihren weit ge¬ schwungenen welligen Linien, ihrem üppigen Wechsel von Wald, Feldern und Wiesen. So liebt Müller das große Orchester und symphonische Breite; wo er aus liturgischen oder anderen Gründen sich in Form und Besetzung bescheiden muß, bleibt sein Stil doch immer großartig. Daher war es für ihn eine künstlerische Un¬ möglichkeit, etwa am Österfest oder zu Christi Himmelfahrt zu der Festmesse, die er dirigierte, die Erzählung der hl. Frauen vom erstandenen oder den Schall der Posaunen für den gen Himmel fahrenden Erlöser vielleicht nur in einer Dutzend¬ ware von Chorsatz oder recht und schlecht im Choral singen zu lassen. Er griff selbst zur Feder und brachte in den Proprien seine schönsten Eingebungen zu Papier. Wertvolleres als etwa die Oster-Sequenz oder die Wechselgesänge für Christi 130

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