OÖ. Heimatblätter 1949, 3. Jahrgang, Heft 2

Orel: Anton Bruckners Nachlaß scheint, in der man gegen den „formlosen“ Neuerer loszog: der Kampf um Bruckner ist noch keineswegs zu Ende. Aus dem Zukunftsmusiker wurde inzwischen der Vertreter einer „überholten“, nicht mehr zeitgemäßen Epoche, dessen Meisterschaft in deren Rahmen man wohl anerkennt, der aber in unserer Zeit der bewußten Abkehr von jeglicher Romantik fast nur mehr historisches Interesse beanspruchen könne. Erst wenn auch diese neue Strömung des 20. Jahrhunderts ihre aktuelle Rolle wird ausgespielt haben — auch sie ist ja nur ein Glied in der Kette der menschlichen Geistesgeschichte —, wird der Ewigkeitswert des Brucknerschen Erbes jenseits von allem Für und Wider klar zutage liegen und zum stolzen Allgemein¬ besitz werden. Einen ungeheuren Aufstieg bedeutete Bruckners künstlerisches Leben. Vom schlichten Schulgehilfen in verlassener Einschicht eines vergessenen oberöster¬ reichischen Winkels hatte der Weg zum Stiftsorganisten von St. Florian, zum Meister der Linzer Domorgel, zum weltberühmten kaiserlichen Hoforganisten geführt, von den „kurzen Generalbaßregeln“, die sich der Ansfeldener Schul¬ lehrersbub bei Vetter Weiß in Hörsching zusammengeschrieben hatte, führte= eine gerade Linie über August Dürrnbergers „Elementarlehrbuch der Harmonie- und Generalbaßlehre“ und Marpurgs „Handbuch beim Generalbaß und der Kompo¬ sition" bis zu Sechters „Grundsätzen der musikalischen Komposition" und zum Lehrstuhl für Theorie am Wiener Conservatorium und an der Wiener Universität. Der Gelegenheitskomponist der Messe für „Alto concertato in Coral" mit zwei Hörnern und Orgel aus der Windhaager Zeit steigt zum führenden Symphoniker der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts empor, dessen Werke vom Jahre 1885 an in der ganzen musikalischen Welt Bewunderung erregen; denn mehr als 70 Aufführungen seiner Symphonien bis zum Herbst 1896, ebenso in Amerika wie in Holland, Dänemark, Deutschland, England, Frankreich, Ungarn zeigen, daß der Ruhm Bruckners schon zu Lebzeiten des Meisters wirklich in alle Welt gedrungen war. Allerdings, es war ein sechzigjähriger Künstler, der die Welt eroberte und kaum ein anderer Meister mußte das „Nemo propheta in patria“ so schmerzlich erleben als Bruckner. Aber man darf nicht außeracht lassen, daß der Künstler erst mit 49 Jahren mit seiner II. Symphonie in Wien vor die Öffentlichkeit tratdie Aufführung der I. im Jahre 1868 in Linz war doch mehr ein Ereignis lokalen Charakters —, und daß die Druckausgaben der Symphonien — abgesehen von der schon 1878 erschienenen III. Symphonie — erst im Jahre 1885 einsetzten. Die Manuskriptaufführungen der VII. Symphonie in Leipzig (30. Dezember 1884, Nikisch) und München (10. März 1885, Levi) bedeuteten in der Tat die Entscheidungsstunde für das äußere Schicksal des Symphonikers. Noch im Jahre 1885 erklang die III. Symphonie in Den Haag, Dresden, Frankfurt und New-York, die VII. (teilweise) in Karlsruhe, 1886 die III. wieder in Den Haag, dann in Utrecht, die IV. (teilweise) in Sondershausen, die VII. in Köln, Hamburg, Chicago, New - York, Boston, Amsterdam, 1887 die VII. in 117

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