Lebensbilder Dr. Franz Schöberl Wissenschaft ist nicht nur eine Summe einzelner Zweige unseres Wissens, sondern viel mehr ein lebensstarker Organismus, den man am besten mit einem Baume vergleichen könnte. An einem solchen beobachten wir immer wieder übereinander tote oder absterbende Äste und junge Triebe, die sich erst mühsam einen Weg zum Lichte, zur Sonne suchen müssen. Heute ist es die Volkskunde, die um Anerkennung zu ringen hat. Vor einem halben Jahr¬ hundert war es die moderne Erdkunde, die sich in ihren beiden wichtigen Gliedern Natur- und Kulturlandschaftskunde ihren Platz an der Sonne erst zu erkämpfen hatte. Den Aufschwung der Geographie in Österreich haben wir Alteren noch miterlebt. Die Österreichisch-Ungarische Monarchie hatte vor etwas mehr als einem halben Jahrhundert an der Universität Wien einen der bedeutendsten deutschen Geographen aller Zeiten als ordent¬ lichen Professor Albrecht Penck, der später nicht nur die ganze Erde in zahlreichen Reisen er¬ forschte, sondern der auch der beste Kenner unserer österreichischen Länder und des Deutschen Reiches war. Aus seiner Schule gingen bedeutende Hochschulprofessoren, wie die Österreicher N. Krebs, E. Brückner, H. Hassinger, F. Machatschek, R. Sieger, J. Sölch, aber auch viele Mittelschullehrer hervor, die eine moderne Auffassung der Erdkunde nicht allein vertieft, sondern in weite Kreise unseres Volkes getragen haben. Zu der älteren Gruppe der in der Schule Pencks ausgebildeten Geographen gehört Dr. Franz Schöberl, der im Jahre 1900 als junger Mittelschullehrer an das Gymnasium der Innviertler Hauptstadt Ried kam und dort ein ganzes Menschenalter hindurch eine ausgedehnte geographische und vor allem heimatkundliche Tätigkeit entfaltete. Schöberl wurde als erster Sohn eines Lehrers am 24. Dezember 1873 in Öhling im Be¬ zirk Amstetten geboren. Nach einem Jahre übersiedelte sein Vater als Oberlehrer nach Wolfsbach unweit von St. Peter, gleichfalls im Amstettener Bezirk. Schöberl war stolz auf seinen Geburts¬ und Jugendort. Unweit von Öhling hatte man das römische Mauer (ad muros) ausgegraben, Wolfsbach wird bereits im 10. Jahrhundert in Passauer Urkunden genannt, hinter dem fruchtbaren Lande stolzer Vierkanthöfe liegen die ehrwürdige Abtei Seitenstetten, die hoch thronende Wall¬ fahrtskirche Sonntagsberg und die altersgraue Eisenstadt Waidhofen an der Ybbs, die bis ins beginnende 19. Jahrhundert bischöflich freisingisch war. Seinem Vater, dem Schöberl in rührender Anhänglichkeit zugetan war, verdankte er die erste Einführung in die geographische und historische Heimatkunde. Vom hoch gelegenen Schul¬ hause zu Wolfsbach erschloß sich dem kleinen Schüler eine wunderbare Welt — das Alpenvor¬ land an seiner engsten Stelle. Da leuchtet die lange Front der Fensterreihen von der Benedik¬ tiner-Abtei Seitenstetten nach Wolfsbach herüber und hinterm reichen Bauernland und dem histo¬ risch bedeutsamen geistlichen Land erstreckt sich der Zug der Nördlichen Kalkalpen vom Ötscher bis zum Traunstein — prächtig geformte Berggestalten, oft Abend für Abend im Rosalichte der scheidenden Sonne schimmernd. Es war für den Vater sicherlich nicht schwierig, die Wurzeln der Heimatforschung in seinen Sohn zu pflanzen und die Knospen einer innigen Heimatliebe zur ersten Entfaltung zu bringen. Schon mit dem Wunsche, einmal Geschichtslehrer zu werden, kam der junge Schöberl als Sängerknabe in die Benediktiner-Abtei Seitenstetten, deren Gymnasium ähnlich wie die Mittel¬ schule des Benediktinerklosters Kremsmünster einen ausgezeichneten Ruf im Sinne einer wirk lichen Heimatschule besaß. Der bedeutende Stiftshistoriker und Schriftsteller Pater Dr. Gottfried Frieß wurde sein Geschichtslehrer, der ihm die Grundlagen für eine gründliche historische Bildung gab. Geschichte wurde Schöberls Lieblingsfach. Da er aber als Sängerknabe Zutritt zu den Kon¬ ventsräumen und ebenso zur Bücherei hatte, verkehrte er auch mit jungen Stiftstheologen, so mit dem gleichfalls aus Wolfsbach stammenden Rafael Hochwallner. Dieser studierte in Innsbruck
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