OÖ. Heimatblätter 1948, 2. Jahrgang, Heft 4

Schrifttum Franz Miltner: Römerzeit in österreichischen Landen. 111 Seiten und 1 Karte. Brixlegg-Innsbruck 1948, Heimat-Verlag, Vierring-Reihe Band 2. Auf Arnold Schobers mustergültiges Buch „Die Römerzeit in Österreich“, erschienen 1935, eine Schrift mit fast gleichem Titel folgen zu lassen, mag zunächst als Wagnis erscheinen und zur Frage verleiten, ob eine zweite Behandlung dieses Themas wesentlich Neues bringen und die Ersterscheinung in manchen Punkten ergänzen könne. Die Lektüre des neuen Buches zeigt, daß Franz Miltner, von dem schon mehrere archäologische Veröffentlichungen vorliegen, die Römerzeit in österreichischen Landen von einem anderen Gesichtspunkt aus behandelt als sein Vorgänger. Während A. Schober diese erste frühgeschichtliche Periode vorwiegend an den Bau¬ und Kunstdenkmälern, also auf archäologischen Grundlagen, darstellt, legt Miltner, obwohl von Haus aus klassischer Archäologe, wie bereits in seiner 1937 erschienenen Arbeit „Augustus Kampf um die Donaugrenze“ (Klio, Bd XXX, S. 200 ff) das Hauptgewicht auf die geschichtliche Darstellung. In geschickter Anknüpfung an den Namen der Alpen, des lacus Venetus (Bodensee) und der an ihm liegenden Altsiedlung Brigantium (Bregenz), die er in ihrer Abfolge mit den Ligurern, Veneto-Illyrern und Kelten verbindet, gibt der Verfasser auf Grund der Namen¬ kunde, deren Bedeutung für die vorgeschichtliche Zeit er in der Einleitung hervorhebt, ein an¬ schauliches Bild von den ältesten, vorrömischen Besiedlungsverhältnissen. Ob die Flußnamen Ill und Illach, jener in Vorarlberg, dieser in Bayern, tatsächlich als Zeugen einstiger An¬ siedlung von Illyrern verstanden werden müssen (S. 13), ist wohl mehr als fraglich. Wenn wir bedenken, daß es eine Ill auch im Elsaß und eine Ille in Nordfrankreich gibt, also in Gebieten, die außerhalb des illyrischen Siedlungsbereiches liegen, so wird man wohl eher eine keltische Wortwurzel ill annehmen müssen, die irgendeine adjektivische Bedeutung hatte und zur Flußnamengebung geeignet war. Nach P. Reinecke handelt es sich bei Illach und Iller um keltische Flußnamen (örtliche Bestimmung antiker geographischer Namen, Bayerischer Vor¬ geschichtsfreund, Heft V, 1925, S. 24). Der Keltenherrschaft sind zwei Abschnitte des Buches gewidmet, „Kelteneinbruch“ und „Königreich Norikum“, die ein lebensnahes Bild von den kulturellen und politischen Verhältnissen im norisch-rätischen Raum geben. Wenn dazwischen ein Abschnitt „Germanenwanderung“ eingeschaltet ist, der sich mit dem Kimbernsturm und der Niederlage der Römer bei Noreia befaßt, so klingt damit ein neues Motiv auf, das für die ferne Zukunft von entscheidender Bedeutung sein sollte. In acht Kapiteln mit gut gewählten Überschriften wird sodann die eigentliche Römerzeit der Ostalpenländer behandelt, angefangen von der Besetzung Norikums und Rätiens durch die Stiefsöhne des Kaisers Augustus bis zum Zusammenbruch des weströmischen Reiches im späten 5. Jahrhundert. Miltner verfügt über gute historische und kulturgeschichtliche Detail¬ kenntnisse und versteht es, sein Wissen auf lebhafte, manchmal dichterisch-philosophische Art zu vermitteln. Daß dabei die gebotene Sachlichkeit öfter einer persönlichen Auffassung weichen muß, ist bedauerlich. Es mutet sonderbar an, wenn der Verfasser (S. 31) von der „furchtbaren, fluchbeladenen Vorstellung der Weltherrschaft“, der sich Rom verpflichtet fühlte, und (S. 35) von der „fluchbeladenen Morgengabe des Imperiums“ spricht. Unseres Erachtens war die Außenpolitik der augusteischen Zeit trotz allem defensiv und die Einbeziehung der Alpenländer in das Imperium eine politische Notwendigkeit, die man mit ethischen Wertungen nicht verquicken soll. Ist es wirklich so sicher, daß sich die unterworfenen Völker als Entrechtete und Leidtragende fühlten? Andererseits hebt Miltner hervor, daß die dem römischen Reich eingegliederten Alpen¬ völker einer höheren Kultur teilhaftig wurden und den Provinzen in den Alpen und an der Donau auf Menschenalter hinaus Friede und Wohlstand gesichert waren (Kapitel „Rom formt das Leben"). Überdies weist er mit besonderem Nachdruck auf die Fortdauer des Bodenständigen in der ländlichen Bauweise, Sitte und Tracht hin (S. 57 bis 62), ein Beweis, daß Rom durchaus duldsam war. 369

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