Haslinger: Ein Herold Adalbert Stisfters ihn (Stifter) viele Jahre arglos wie ein Kind. Ich las ihn wegen der stillen Größe seiner ländlichen Natur, wegen der ruhigen Güte seiner Menschen, wegen des wahrhaft seligen Gottesfriedens, der liegt über seiner Welt. Erst im reifsten Alter habe ich diese Ruhe der Oberfläche, dieses liebliche Kleinleben des Alltags mehr und mehr durchgründet und mit Staunen gesehen, welch schwere Leiden¬ schaften, welch dunkle tragische Geschicke, welch unbeugsamer Trotz, welch lechzende Begier bisweilen hinter der milden, geruhsamen Form verborgen liegen. Und von neuem bewundere ich die Züchtigkeit dieses Erzählers, der nicht bloß die Sünde, sondern auch das Leid schamhaft verhüllt, wie es die Natur ja selbst macht ... Solche Gedanken kamen mir, als ich nun wieder einmal Stifters „Die Mappe meines Urgroßvaters' las, ein einzigartiges Werk der Weltliteratur. Aber der nächstbeste Leser, der das Buch in die Hand nimmt, schleudert es mir schon nach den ersten Seiten von sich, als „das Langweiligste, was ihm je vorge kommen’. Ich hebe das Buch schweigend auf, daß ich es umso andächtiger küsse. Für die Beurteilung der Einstellung Roseggers zu der für ihn so bedeut¬ samen „Stifter-Frage“ kommt ferner eine Anzahl kurzer redaktioneller Bemerkungen in Betracht. Ungeachtet ihres notgedrungen geringen Um¬ fanges enthalten sie oft einen besonders glücklichen und einprägsamen Ausdruck seiner persönlichen Verehrung von Dichter und Werk, kennzeichnen aber auch sein unermüdliches Bestreben, die allgemeinere Anerkennung der wirklichen Bedeutung von Stifters Werk voranzutreiben. So wird etwa in einer redaktionellen Anmerkung (Jahrgang 14, 1890) nach¬ drücklich auf die „herrlichen Schriften“ Stifters hingewiesen. Der allgemeinen Ansicht immerhin noch ein halbes Menschenalter vorauseilend schreibt er: „Dieser Dichter ist nach Goethe vielleicht der größte deutsche Stilist. Seine Natur¬ schilderungen könnten nicht übertroffen werden, seine wahre Größe aber liege in der sittlichen Neinheit seiner Dichtungen. Die Schlußworte jedoch lassen uns wieder einen Blick in die emsige Werbetätigkeit Roseggers tun, mit der er immer aufs neue seinem Stifter Leser und Bewunderer zu gewinnen trachtet. „Viele schon haben uns dafür gedankt, daß wir ihnen diesen Schriftsteller so wiederholt angerathen, bis sie endlich nach ihm griffen. Wir gedenken uns solchen Dank noch öfter zu erwerben. Dann heißt es einmal: „Wir halten es für eine Ehren¬ pflicht, immer wieder auf Stifters Schriften hinzuweisen“ (Jahrg. 16, 1892). Im Jahrgang 21 (1897) erklärt eine redaktionelle Fußnote: „Wir wollen nicht müde werden, auf den genialen und reinen Dichter hinzuweisen und ihn unseren Leserr in Erinnerung zu bringen. Im Laufe der Jahre läßt Rosegger zur Unterstützung seiner Werbearbeit natürlich auch andere Kenner und Freunde der Dichtung Stifters zu Worte kommen. So finden sich in den früheren Jahrgängen Aufsätze von Personen, die Stifter noch selbst nahestanden und daher — wie etwa der Stifter-Schüler, Kunstkritiker Emmerich Nanzoni — wertvolle persönliche Eindrücke von Stifter 325
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