Oberösterreichische Heimatblätter schickt verficht er den Standpunkt, der Wert eines historischen Romanes liege nicht allein in der Darstellung von hervorragenden Ereignissen, sondern auch und vielmehr in der Darstellung aller Kulturverhältnisse der betreffenden Zeit. Den — angeblichen — Mangel an Leidenschaftlichkeit aber bezeichnet Rosegger eher als einen Vorzug. Ganz unbekümmert um die herrschende Zeitströmung, die soeben den überkommenen Realismus zum Naturalismus steigert, führt Rosegger, zur Unterstützung seines Kampfes um Anerkennung der Eigengesetzlichkeit der Dichtung Stifters, die „Meinung“ an: „Wird doch gesagt, der Dichter müsse die Welt und die Menschen idealisieren und dem irrenden, bedrängten Geschlecht zu neuer Ermunterung und Zuversicht verklärte Bilder und Gestalten vor Augen stellen. Auch Stifter habe Leidenschaften geschildert, dabei freilich das Finstere gemildert und gelichtet. Nach Verweis auf die Gewissenhaftigkeit Stifters in der Auffassung des Gegenstandes und die Klarheit seiner Darstellung widerspricht Rosegger dem oberflächlichen Urteil, Stifter sei reiner Landschaftsmaler und die Menschen seiner Dichtungen seien ihm bloß Staffage zur Landschaft. Fein und sachlich unwider legbar verweist er darauf, daß doch gerade Stifter eine so große Anzahl von Menschengestalten mit scharf ausgeprägten Eigentümlichkeiten, ferner Sonderlinge und Origniale vorführe. Der „Waldsteig“, „Procopus“ und der „Hagestolz seien Beispiele hiefür. Ferner führt er den Liebreiz der Stifterschen Kinder¬ gestalten und Schönheit und Adel seiner Frauengestalten mit ins Treffen. Bei der Schilderung seiner tatsächlichen „Staffage“ aber, nämlich der Darstellung der Natur, ob Heide, Hochwald, Steppe, Wüste, sei Stifter unübertrefflich. Auf ganzen fünf „Heimgarten“-Seiten hat so Rosegger wieder einmal eine ebenso knappe wie sachlich erschöpfende, in ihrer warmen Anteilnahme wirksam werbende Darstellung vom Leben und Schaffen Stifters geliefert. Der Aufsatz „Ein Tag im Böhmerwalde, Aus dem Tage¬ buch des Herausgebers“ (Jahrgang 21, 1897) schildert mit merkbarer unter¬ Ergriffenheit die endlich — „in der Stimmung eines Wallfahrers“ — nommene Reise nach Oberplan. So natürlich es erscheint, daß sich Rosegger von den „heiligen Gegenden“, wo Stifter geboren wurde, angeheimelt fühlt, sucht er die Tatsache doch nicht nur gefühlsmäßig, sondern auch gedanklich zu begründen: „(Es) hauchte mich hier überall eine große Heimlichkeit an, denn meine Seele hatte ja so oft und glücklich hier gelebt, wenn ferne in der Steiermark seine Werke gelesen wurden ... es kam mir vor, als hätte ich hier im Hochtale der Moldau eine Kindheit gelebt, die innerlich jener von Alpl gleich war.“ Beim Eintritt in den Gasthof „Zum Gassel“ hört sich Rosegger zu seinem größten Erstaunen mit seinem alten Alpler Namen „'s Lenzen Peterl“ angerufen. Es ist der Neffe des Dichters, der Sattlermeister Stifter, der — in der Lebensge¬ schichte und den Schriften Roseggers gut bewandert — um dessen Aufenthalt in Krummau mit dem Reiseziel Oberplan weiß, ihn beim ersten Anblick begrüßt und zu sich ins Haus ladet. Dann werden in seiner Gesellschaft in Erfüllung 322
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