Haslinger: Ein Herold Adalbert Stifters Geschichte Böhmens“. Man glaubt, erst uns Heutigen, übrigens seit gar nicht so langer Zeit überhaupt klar gewordene Erkentnisse zu lesen, wenn Rosegger, der damaligen Ansicht gerade um zwei Generationen voraus, fortfährt: „Dieses Werk ist das Muster eines historischen Romans, der weder eine Tendenzschrift, noch ausschließlich eine Unterhaltungslektüre sein kann, der ganz von der Gegen¬ ständlichkeit und den Ideen der Zeit, in welcher er spielt, erfüllt sein muß. Das Jahr 1875 bringt zwei, auf ganz verschiedenen Ebenen liegende Ver¬ öffentlichungen, mit denen Rosegger seinen Kampf um Stifters Werk fortsetzt. Die erste („Den Manen Adalbert Stifters“) ist als Neubearbeitung jenes frühesten Stifteraufsatzes („Zwei Besuche bei Adalbert Stifter“ 1869/70) bereits ausführlich behandelt worden. Mit der zweiten aber greift Rosegger, gemäß seiner Absicht, für sein verehrtes Vorbild unerschrocken und unbekümmert um gegenteilige Ansichten in immer breiterer literarischer Öffentlichkeit einzutreten, über seinen Heimatstaat Österreich hinaus. Sind ja doch schon, zuerst vereinzelt ab 1869/70, von da ab immer häufiger, erzählende und feuilletonistische Beiträge aus seiner Feder auch in deutschen Zeitschriften erschienen. Da darf nun freilich das Herzensthema „Stifter“ nicht fehlen! So erscheint im Maiheft 1875 der angesehenen und weit verbreiteten Zeitschrift „Westermanns Jahrbuch" der Illustrierten Deutschen Monatshefte sein Beitrag „Adalbert Stifter, Eine Skizze seines Lebens und Schaffens“. Damit aber trägt Rosegger seinen Kampf um Stifter und sein Werk mutig in eine dafür so ganz und gar nicht günstige Arena. Denn die damals für die literarische Geschmacks¬ blidung in Deutschland weithin tonangebenden Literarkritiker, wie Rudolf Gottschall, Julian Schmidt und andere stehen Stifter, bei aller Anerkennung seiner seelischen Größe, als — angeblich — ausschließlichem Künstler des Kleinen und der Naturbeschreibung zurückhaltend, seinen reifen Altersromanen aber ganz ablehnend gegenüber. Das Gleiche gilt für den Großteil der Leserschaft, die ganz und gar für die Werke des neu aufgekommenen Realismus eingenommen ist. Da muß also in ebenso entschiedener und überzeugender wie kluger Form gegen diese Vorurteile vorgegangen werden. So muß denn der Beitrag, obwohl dem zuletzt behandelten nach Aufbau und im Text oft bis in Satz und Wort gleich, durch entsprechende Zusätze versuchen, den erwarteten reichsdeutschen, viel¬ fach großstädtischen Leserkreis für die gleiche gute Sache wesentlich anders zu packen, als etwa die meist bäuerlichen und kleinbürgerlichen Käufer des Volks¬ kalenders „Das neue Jahr"“. Rosegger hat diese Aufgabe vorbildlich gelöst. Mit großem Nachdruck, ge¬ stützt auf sorgfältig durchdachte kunstkritische Erwägungen, tritt er für eine ge¬ rechte Würdigung der Kunst Stifters, besonders aber seiner späten Nomanwerke „Der Nachsommer“ und „Witiko“ ein. Er verteidigt Stifter gewandt gegen den immer wieder vorgebrachten Einwand der angeblichen Leidenschaftslosigkeit seiner Gestalten und stellt schließlich fast mit Schärfe fest: „Der Leihbibliothek¬ Romanzier ... hat die Aufgabe, seine Leser zu kitzeln, aufzuregen, zu spannen ... 319
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