Oberösterreichische Heimatblätter richtes konnte der damalige Handelsakademiker Rosegger noch gar nicht so literaturkundig sein, um die wirkliche Bedeutung Stifters zu begreifen, dessen Werk überdies von der zeitgenössischen Kritik und Leserwelt so gar nicht ge¬ bührend gewertet wurde. Schon nach zwei bis drei Jahren — und später immer mehr — ist diese einzige persönliche Begegnung mit Stifter für Rosegger aus seiner inzwischen herangereiften, schier grenzenlosen Stifterverehrung im Rückblick ganz begreif¬ licherweise zur hohen Weihestunde geworden. So wob er denn auch um sie jenen allgemein bekannt gewordenen, schönen, von allen guten Geistern der Welt Stifters gesegneten Bericht, der in einer ersten Fassung („Zwei Besuche bei Adalbert Stifter“) schon 1869/70 entstanden und im „Ungarischen Lloyd“ gedruckt, in seiner Überarbeitung unter dem Titel „Den Manen Adalbert Stifters“ 1875 im literarischen Jahrbuch des österreichisch - ungarischen Beamtenvereines „Die Dioskuren“ erschien und wegen seiner dichterischen Vorzüge gern abgedruckt worden ist. Er besagt, Rosegger sei, von seiner Stifterverehrung getrieben, auf einer Pilgerfahrt zu Fuß von Graz nach Linz gewandert. Stifter habe in dem gegen die Hochsommerstrahlen abgedunkelten Zimmer zu seinem Besucher in der Idealsprache der „Studien“ gesprochen und ihm dabei deren unvergängliche Gestalten vors geistige Auge gezaubert, sich hierauf mit ihm über seine Land schaftsmalerei und den geplanten großen Roman „Die Rosenberger“ unterhalten, dem Besucher schließlich unter spaßhaften Bemerkungen sein Bild überreicht und um Wiederholung des Besuches gebeten. Ein Vergleich dieser fast legendär gewordenen Schilderung mit der kurzen, zur Zeit des Stifterbesuches selbst niedergeschriebenen Schilderung im Tagebuch Roseggers, das dessen Sohn Hans Ludwig im „Heimgarten“ (Jahrgang 52, 1928) veröffentlicht hat, zeigt, daß die Wirklichkeit viel weniger poetisch gewesen war als dieser Spätbericht. Darauf hat 1937 auch Hofrat Dr. Rudolf Latzke hin¬ gewiesen, der seit über vierzig Jahren in der Roseggerforschung tätige Biograph Roseggers*), der in einer feinsinnigen Untersuchung2) den Bericht Roseggers in den „Dioskuren“ mit Recht als „kleine Icherzählung“ kennzeichnete, deren Einzel¬ heiten von manchen Stifter- und Roseggerforschern wenig kritisch in ihrer bio¬ graphischen Bedeutung überschätzt wurden. Trotz dieser die Stifterforschung ebenso wie die Roseggerforschung betreffenden Richtigstellung ist dieser Irrtum bis in die jüngste Zeit immer wieder nachgedruckt worden. Erst ein Jahr nach dem ersten Linzer Besuch, Juli 1868, meldet Roseggers Lektüreverzeichnis die begonnene Beschäftigung mit Stifters Werken, vorerst mit den „Studien“, die ihn freilich ganz begeistern. Nach einem weiteren Jahr aber, Sommer 1869, ist Rosegger glücklich absolvierter Handelsakademiker, dessen schönstes „Glück“ es ist, die jahrelange Befürchtung *) Peter Rosegger. Sein Leben und sein Schaffen. 1. Band. Der junge Rosegger. Weimar 1943 (Verlag Böhlau). 2) Aus Noseggers Werdezeit. Wien und Leipzig 1936/37 (Österreichischer Bundesverlag). 312
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