OÖ. Heimatblätter 1948, 2. Jahrgang, Heft 4

Haslinger: Ein Herold Adalbert Stifters In der Silvesternummer aber ist Roseggers Gedicht „Sylvesternacht“ an der Spitze der Titelseite — wieder in Kleindruck — veröffentlicht und unmittelbar im Anschluß daran beginnt Stifters Skizze „Der Sylvesterabend“ Welch seltsame erste Begegnung von Jugend und Alter! Ein erstes Treffen zweier Großer unseres Schrifttums. Der fast um 40 Jahre jüngere Dichter,lehr¬ ling" Rosegger, trotz aller „Entdeckung“ ja doch nur in engerem Kreise bekannt, darf tastende Frühversuche seines Schaffens Seite an Seite mit Beiträgen des größten Erzählers Österreichs abgedruckt sehen. Noch erfaßt Rosegger die Be¬ deutsamkeit des Geschehens kaum. Obwohl durch Sacher-Masoch so nachdrücklich auf Stifter als nachahmenswertes Vorbild hingewiesen, scheint er sich vorerst kaum viel mit ihm befaßt zu haben. Roseggers Besuche in Linz (1867, 1869) Und doch kommt es dreiviertel Jahre später, am 22. August 1867, zur einzigen persönlichen Begegnung Roseggers mit Stifter in Linz. In der uns Heutigen wahrhaft symbolischen Vormittagsstunde des Be¬ suchstages stehen sich — freilich ohne es wissen zu können — der auf den Tod erkrankte Erblasser einer unvergleichlichen Dichterwelt und deren zukünftiger jugendfrischer Erbe ein erstes und zugleich letztes Mal gegenüber. Rosegger war auf einer seiner „Bildungsreisen“, die aus Ersparungsgründen — wie schon in früheren Jahren und auch späterhin — nach Orten führten, wo liebe Freunde und Gönner wohnten, zu Fuß über Obersteier nach Salzburg und von dort mit der Bahn nach Linz zur Familie des befreundeten Mitschülers Uitz gekommen. So bot sich auch Gelegenheit zu einem Besuch bei Stifter. In dem auf dieser Reise geführten, lebendig geschriebenen Tagebuch „Auf der Wander“ wird der Besuch bei Stifter in ganzen 22 Worten beschrieben: „Vormittag besuchte ich den Dichter Adalbert Stifter, von welchem ich sehr freundlich empfangen und auf mein Ansuchen mit einer Fotografie beehrt wurde“. Ganz ähnlich hat viel später Rosegger diesen Besuch noch einmal geschildert: „Wenige Monate vor seinen Tode hatte ich ihn gesehen, .... zu Linz in seiner Wohnung. Er war schon krank .... (ich) war begierig, die entzückende Lieblichkeit der Stifter-Sprach¬ von ihm selbst zu hören. Und er besprach in Volksmundart mit mir ein paar ganz gewöhnliche Dinge. Weiter nichts. Eine Photographie, die ich von ihm erbat, legte er mir freundlich in die Hand. Das war alles.“ Der Besuch bei dem damals schon auf den Tod erkrankten Dichter wird, wie aus dem auf Grund des unmittelbaren Eindruckes an Ort und Stelle nieder¬ geschriebenen knappen Bericht ganz deutlich hervorgeht, kurz und einfach verlaufen sein. Er war eben mit ein Ereignis im Ablauf dieses Tages, der als „eine Perle im Kranz meiner Ferientage“ bezeichnet wird und dessen erlesene Genüsse, an¬ gefangen von der herrlichen Morgenschau vom Pöstlingberg bis zur Linzer Torte am Abend getreulich verzeichnet werden. Dieser Sachverhalt ist ja auch nur eine Selbstverständlichkeit. Nach kaum zwei Jahren seines ersten regelmäßigen Unter 311

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