OÖ. Heimatblätter 1948, 2. Jahrgang, Heft 4

Oberösterreichische Heimatblätter Herausgegeben vom Institut für Landeskunde am o.-6. Landesmuseum in Linz durch Dr. Franz Pfeffer Jahrgang 2 Oktober=Dezember 1948 Heft 4 Inhalt Dr. Otto Wutzel: Eferding. Antlitz einer alten Stadt.. Dr. Franz Haslinger: Ein Herold Adalbert Stifters. Roseggers fünfzigjähriges Wirken für die Anerkennung von Stifters Gesamtwerk.... Otfried Kastner: Krippenschnitzer aus dem Salzkammergut.. Herbert Maurer: Die Bevölkerungszunahme Oberösterreichs seit 1934 in der gesamt¬ österreichischen Entwicklung Bausteine zur Heimatkunde Dr. Othmar Wessely: Zur Linzer Musikgeschichte des 17. Jahrhunderts Karl Braunschmid: Zur Frage des Meisters von St. Leonhard bei Pucking Ernst Huber: Die „Fleischbrücke in Grieskirchen ...... Lebensbilder Dr. Herbert Paschinger: Universitätsprofessor Dr. Haus Kinzl. Zum fünfzigsten Geburtstag Schrifttum Verzeichnis der oberösterreichischen Neuerscheinungen Dr. Eduard Straßmayr, Dr. Franz Pfeffer, Dr. Wilhelm Freh: Heimatkund¬ liches Schrifttum über Oberösterreich 1947 .. Seite 289 310 827 345 362 364 369 373 Jährlich 4 Heste Zuschriften für die Schriftleitung (Beiträge, Besprechungsstücke) an Dr. Franz Pfeffer, Linz a. D., Museumstraße 14 Zuschriften für die Verwaltung (Bezug) an die Buchdruckerei des Amtes der o.-ö. Landes¬ regierung, Linz a. D., Klosterstraße 7 Verleger und Eigentümer: Verlag des Amtes der o.-5. Landesregierung, Linz a. D., Klosterstr. 7 Herausgeber und Schristleiter: Dr. Franz Pfeffer, Linz a. D., Museumstraße 14 Druckstöcke: Klischeeanstalt Franz Krammer, Linz a. D., Klammstraße 3 Druck: Buchdruckerei des Amtes der o.-5. Landesregierung, Linz a. D., Klosterstraße 7

Oberösterreichische Heimatblante Jahrgang2 - Heft 4 Oktober=Dezember 1948 Eferding Antlitz einer alten Stadt Von Dr. Otto Wutzel (Linz) Oberösterreich zählt heute fünfzehn städtische Gemeinwesen, die überaus reich in ihrer Geschichte, reich an Eigentümlichkeiten ihrer Vergangenheit sind. Jedes darf einer liebevollen Versenkung in seine Schicksale wert geachtet werden. Der moderne Betrachter muß freilich einen Trennungsstrich zwischen den Städten von gestern und heute ziehen. Diese sind nur mehr Siedlungs- und Wirtschaftsgemein¬ schaften von größerem Ausmaß als Dörfer und Märkte. Die Stadt des Mittel¬ alters aber war eine eigenständige, durchaus eigenwillige Erscheinung, eine korpo¬ rative Persönlichkeit, die in sich geschlossen lebte und nur aus sich verstanden werden kann. Um dies ganz zu begreifen, müssen wir den neuzeitlichen Menschen und seine Erfahrungen abstreifen. Wir müssen das damalige Land sehen, wie es war, mit wenig eingedämmten Flüssen, geringem Schutz vor Witterungsunbilden, mit rohen Straßen, auf denen als einziges Verkehrsmittel Pferd und Plachen¬ wagen fuhren, am Strom von den Zillen begleitet. Nachrichtenmittler waren allein die fahrenden Leute. Die moderne Stadt holt sich ihre Bezeichnung durch eine be stimmte Anhäufung von Menschen, eine bestimmte Größe ihrer Ausdehnung und eine auffällige Schwerpunktlagerung der Industrie oder des Verkehrs; sie ist eine Dichtigkeitserscheinung. Die mittelalterliche Stadt verdiente sich diesen Namen durch besondere Führung und Ordnung einer Siedlungsgemeinschaft; sie war ein Rechtskörper, fußend auf Handelsentwicklungen und politischen Entwicklungen, die nur ihr angehören konnten. Sie war aber auch eine Kultureinheit, die in Lebens¬ stil, Wirtschaftsform und Kunstwillen ihrer Zeit vorauseilte und dem Historiker die Brücke von den ferneren Jahrhunderten zu den neueren schafft. Es ist deshalb nicht spielerische Romantik, die uns so sehr den Zauber grauer Mauern, enger Gassen und steiler Türme lieben läßt. Die alten gewordenen Städte sind sichtbare Zeugen der Geschichte des Landes, Dokumente und Quellen, aus denen jedermann die Vergangenheit ablesen kann, nicht nur der Fachmann, dessen Welt der Urkunden und Akten dem laienhaften Geschichtsfreund verschlossen bleiben muß. Oberöster¬ reich kann sich glücklich schätzen, so viele solcher alter Plätze zu besitzen. Da sind die „stet ob der Enns“, die die landesfürstlichen genannt wurden und sieben an der 289

Oberösterreichische Heimatblätter Zahl waren. Schwanenstadt und Grieskirchen sind daneben Beispiele neuzeitlicher „Erhebungen“. Die Innviertler Städte Braunau, Schärding und Ried bilden ein selbständiges Problem und müssen im Rahmen der bairischen Geschichte verstanden werden. Eine kleine Sondergruppe neben diesen größeren Namen stellen Grein, Steyregg und Eferding dar, die grundherrschaftlich waren, demnach die Eigenart einer mittelalterlichen Stadt besonders deutlich entwickeln konnten. Eine davon greift dieser Aufsatz heraus — Eferding, das einen Gang durch seine Gassen, über den Hauptplatz, in das Schloß und die beiden Kirchen verdient, weil es „echt" ge¬ blieben ist. Sein Aufriß mag sich dem wechselnden Kunstgeschmack und den ge¬ änderten Bedürfnissen entsprechend gewandelt haben, der Grundriß blieb mittel¬ alterlich, das Verweilen in der gotischen Kirchenhalle kommt einer geschichtskund¬ lichen Weihestunde gleich. Außerhalb des alten Mauerzuges stören nur wenige Neubauten den historischen Eindruck. Die ursprüngliche Bauform läßt sich gemüt¬ voll umwandern und leicht erkennen, die Häuser erzählen mit ihren Außenfronten und auch in ihren dunklen Gängen und hohen, oft noch gewölbten Räumen die Ge¬ schichte einer alten Stadt. Geographisch gehört Eferding dem Becken an, das in der Landes¬ kunde nach ihm seinen Namen trägt und in älteren Zeiten, die noch bildlicher dachten, Aschachwinkel genannt wurde. Diese Landschaft besitzt einen stillen, be¬ scheidenen Reiz. Die Donauschlucht von Passau stromabwärts weitet sich bei Schloß Neuhaus und bei Aschach wird es plötzlich nach langer Waldesdunkelheit sonnenhell. Die Hänge treten völlig vom Strom zurück, biegen nach Nord und Süd aus, schließen sich aber nach ungefähr 14 Kilometer wieder und umgrenzen in einer für das künstlerisch empfindsame Auge angenehmen Rundung ebenes, fruchtbares Bauernland, wie die Ränder einer Bauernschüssel. Die Höhenwälder steigen nur bis zum Fuß der Abhänge herab. Zwei Oberflächenformen, zwei Landschaftstypen bilden in diesem Zusammenhang eine Einheit: Urgestein und Ackerboden. Die dritte Landschaftskomponente ist der Strom. Er ladet weit nach Süden aus. Geologen behaupten, daß diese Rechtskrümmung ein Naturgesetz des Flußlaufes sei. Uns interessieren mehr die Folgen der diagonalen Durch¬ schneidung des Eferdinger Beckens durch die Donau. Von Strombettverlagerungen blieben tote Arme und geheimnisvolle Auen zurück, die geschichtliche Entwicklung der Siedlungen wurde wesentlich vom Wasser beeinflußt, das Bild der Ebene ist durch die Auregion mitten in ihr aus der Alltäglichkeit gehoben. Die einzige breitere Öffnung aus diesem Becken ist das Aschachtal, das nach Westen weist. Überall sonst führen die Straßen über Höhen hinweg. In vergangenen Zeiten ohne Auto und Bahn mag die Abgeschlossenheit der Landschaft dadurch noch stärker und wirksamer gewesen sein, aber auch in unseren Tagen übt sie einen wesentlichen Einfluß auf Wirtschaft und Verkehr aus. Für den Wanderer ergibt sich die seltene Möglichkeit, die künstlerische Gesamtwirkung eines Landschafts¬ raumes zu erleben. End- und Scheitelpunkte dieser Naturhalle sind Aschach im Westen, Stift Wilhering im Osten, Ruine Oberwallsee im Norden und Maria 290

Wutzel: Eferding Scharten im Süden. Geographischer, geschichtlicher und wirtschaftlicher Mittel¬ punkt ist die Kleinstadt Eferding, deren Kirchturm das Wahrzeichen der ganzen Gegend bedeutet — eine steile Nadel neben hohem Dach, von allen Höhen herab ein wegweisender Blickpunkt. Ganz am Rande aber dunkelt mit alten Mauer¬ resten, mit waldhohem Söller und halb zerfallenem Bergfrit der romantische Mittelpunkt der Gegend, die Ruine Schaunberg. Diese landschaftliche Melodie begleitet unseren Weg zur Stadt, der wir von Aschach zuwandern und die wir dort betreten, wo einst das Schaunbergertor stand. Vor dem näheren Bekanntwerden mit einer Siedlung interessiert besonders die Frage ihres Ursprungs und ihrer Frühgeschichte. Das Streben, überall die dunklen Anfänge zu ergründen, ist allgemein menschlich. Goethe lieh ihm an einer Stelle der Farbenlehre die Ausdruckskraft seines dichterischen Wortes: „Höchst reizend ist für den Geschichtsforscher der Punkt, wo Geschichte und Sage zusammengrenzen. Er ist meistens der schönste der ganzen Über¬ lieferung.“ So forschen auch wir Eferdings Erstgeschichte nach, obwohl alle Wege dazu dunkel und verworren erscheinen und nur wenige sichere Anhaltspunkte bleiben. Tatsache ist, daß hier zur Zeit des römischen Norikum ein Römer¬ lager bestand, das einer Reiterkohorte militärisches Quartier bot, vor seinen Wällen aber sicherlich auch eine Zivilsiedlung besaß. Der Limesforscher Eduard Nowotny *) berechnete bei einer Bereisung der österreichischen Donauorte aus dem Katasterplan und nach Lokalaugenschein den alten Lagerplatz und stellte als seine Begrenzungslinie fest: Keplerstraße — ehemaliger Stadtwall im Westen - Schmiedgasse-Westfront des Hauptplatzes. In der Schlossergasse, die heute durch ihre niedrigen, breit ausladend bedachten Häuser das Gemüt erfreut, vermutete er die via principalis, das schmale Gäßchen, das nun bei dem Bezirksgericht in den Hauptplatz mündet, sprach er als via praetoria an. Diese Forschungs¬ spekulation wird erhärtet durch die vielen Funde, die das Stadtmuseum verwahrt und die unbedingt eine Betrachtung verdienen?). Die Stücke zeigen schöne Beispiele einer hoch entwickelten römisch-provinzialen Handwerks-Kleinkunst. Sie umfassen einen Bronzehelm einer Minervastatue und ungefähr hundert Scherben verschiedener Ge¬ säße, von Tellern, Schüsseln und zierlichen Schalen, die Wandungen hauchdünn, vielfach geschmückt mit vollendeten Ornamenten und figuralen Darstellungen, die in ihrer klassischen Schönheit das Auge höchst erfreuen. Besonders fallen auf eine Venus, ein flötenblasender Silen, auf einem anderen Tonbruchstück ein Amor figürchen und wieder auf anderen ein herrlich durchgebildetes springendes Pferd *) Siehe E. Nowotny, Die Donaustrecke zwischen Linz und Passau. „Vom Donau-Limes", Anzeiger der phil.-hist. Klasse der Akademie der Wissenschaften in Wien (1925) S. 90 ff. 2) Literatur über die Römerfunde: Mitteilungen der k. k. Central-Commission zur Er¬ forschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale, Neue Folge, XIV (1888) S. 57; XIX (1893), S. 78; XXI (1895) S. 128 f; XXVIII (1902) S. 55. Vor allem aber 3. Folge, 5. Band (1906) W. Kubitschek, Vom norischen Donauufer, 3. Aus der Sammlung des Dechants Karl Grienberger in Eferding, S. 51—54. Jetzt wird die Sammlung im Stadtmuseum muster¬ gültig von Direktor i. N. Anton Rosenauer betreut. 19* 291

Oberösterreichische Heimatblätter und ruhende Löwen. Töpferstempel verraten einige Namen der Handwerkskünstler Geminus, Taurus, Stabilis, Cintusmus, Muxtullus, Cinannus. Nitzinschriften nennen Vita, Tutus, Justa, Avita, die also Besitzer der Gefäße und Bewohner dieses Römerortes waren. Fundstelle all dieser kleinen, künstlerisch und historisch wertvollen Kostbarkeiten ist das Stadtgebiet des oberen Grabens. Damit ist aber auch der sichere Boden zu Ende. Unsicherer Grund tritt an seine Stelle, wenn wir nach dem Namen des castellum fragen. War Marinianio oder gar das berühmte Joviacum, das die meisten Forscher in Schlögen an der Donau suchen, von dem die Notitia dignitatum berichtet, daß es eine der drei römischen Kommandostellen im Bereich des heutigen Oberöster¬ reich war, dessen tragischen Untergang durch völlige Zerstörung die Vita Severini schildert 3). Vergebens suchen wir die Antwort. Sagenstimmung der Vorzeit umwittert die ersten Schicksale der Stadt. Während alle Orte der Umgebung, Aschach, Hartkirchen, Pupping, Alkoven und Wilhering, schon vom 8. bis zum 10. Jahrhundert n. Chr. in der deutschen Urkundenüberlieferung aufscheinen *) kündet das erste Pergament von Eferding erst aus dem Jahre 1067, als Bischof Altmann von Passau St. Nikola als neues Kloster in unmittelbarer Nähe seiner Bischofstadt begründete und den Mönchen vier Pfund für ihre Bekleidung von irgendeiner Geldabgabe aus Eferding (evirdingen) stiftete. Was sind die Gründe dieses langen Geschichtsdunkels? War tatsächlich das Leben ausgebrannt worden oder sind nur zufällig frühere Urkunden verloren gegangen? Der Ortsname bringt etwas Licht. Frühere Auslegungen nahmen einen kelto-romanischen Namens¬ ursprung, Eburodunum, an. Sie versetzten uns in ein grenzgefährdetes Kelten¬ dorf, das von einem Zaun von Eiben umschlossen war (eburos = Eibe, Eberesche, dun = Befestigung). Schiffmann, der diese Lehre zuerst vertrat, änderte dann selbst seine Meinung und heute wird Eferding zu den „Sippenortsnamen“ mit bairischer -ing- Bildung gezählt 5). Ein Efrit war der germanische Siedler, mit dem das Leben wieder angefangen haben dürfte, der erstmals die römischen Mauertrümmer beschaut und nur scheu das ungewohnte steinerne Baumaterial für die Häuser seiner Familie verwendet haben wird. Neue Verwirrung tritt ein, wenn wir eines weiteren Namens gedenken, der völlig versunken ist, aber einst wahrscheinlich im Raum von Eferding eine Siedlung bezeichnet hat. Es handelt sich um Rosdorf. Ignaz Zibermayr wies jüngst auf diesen Ort hin, auf seine Nennung in der Raffelstettener Zollordnung 3) Literatur über diese Frage: J. Gaisberger, Archäologische Nachlese (Linz 1864); W. Kubitschek a. a. O., sp. 27—49; E. Nowotny, a. a. O., S. 93 ff; J. Zibermayr, Noricum Baiern und Österreich (München und Berlin 1944), S. 7. *) Aschach: O. ö. Urkundenbuch, Bd 2 nr. 2. Hartkirchen: Ebenda, nr. 32 Pupping: Vita s. Wolfgangi, in Acta Sanctorum, Novembris. II, pag. 563 und 581. Schönering und Wilhering: M. Heuwieser, Die Traditionen des Hochstiftes Passau (München 1930), nr. 93. 5) Vgl. K. Schiffmann, Das Land ob der Enns. Eine altbairische Landschaft in den Namen ihrer Siedlungen, Berge, Flüsse und Seen (München und Berlin 1922), S. 22 und 67. 292

Wutzel: Eferding (903 — 905), auf sein Bestehen als wichtige Zollstätte oberhalb von Linz, auf die Notwendigkeit der Annahme, daß er im Raume von Pupping zu suchen sei 6) Ist er mit Eferding in Verbindung zu bringen? Die schriftliche Überlieferung gibt keinen Aufschluß. Nach der ersten Erwähnung 1067 finden sich weitere Urkunden von 1073 und 1075, Schenkungsbestätigungen für St. Nikola zu Passau aus den Händen der Päpste Alexander II. und Gregor VII.; Heinrich IV. gab dazu sein kaiserliches Wort. Um 1110 stellte nochmals Bischof Ulrich die rechtlichen und materiellen Grundlagen des Klosters her, wobei neuerlich Eferding genannt wurde. Das nächste Privileg für St. Nikola datiert vom 6. Mai 1144. Dieses ganze Schriftgebäude ist dürftig genug. Es berichtet bloß von einer geistlichen Stiftungs¬ angelegenheit, in der der Ort eine bescheidene Rolle spielte. Den Verstand wird deshalb das Gemüt unterstützen müssen und dieses empfindet auch bei dem Wenigen den Schauer der Geschichte. Es begleitet die Weinfuhre des Stiftes Kremsmünster, von Aschach (erwähnt 777 in der Kremsmünsterer Stiftungs¬ urkunde) durch Eferding nach Süden fahrend. Es nähert sich andachtsvoll dem un¬ scheinbaren Kirchlein zu Pupping, in dem 994 der hl. Wolfgang starb, in dem also ein Heiligenleben endete, das für unsere Heimat so bedeutend war, dessen Ant¬ litz später Michael Pacher in die hohe Auffassung der Kunst emporgehoben hat. Es ist ehrfurchtsvoll erfüllt von der Tatsache, daß in Schriftstücken der kaiserlichen und päpstlichen Kanzleien die zukünftige Stadt ihre frühen Erwähnungen fand. Obwohl die Stadtpfarrkirche die Blicke mit aller Macht auf sich lenkt, wenden wir uns zunächst dem Schlosse zu, da sich von ihm aus ein weiteres wichtiges Kapitel im Leben einer mittelalterlichen Stadt eröffnen läßt. Der Weg führt durch ein formschön wirkendes Schmiedeeisentor oder vom Hauptplatz her entlang gerader kurzer Baumreihen. Das Schloß ist heute eine vielgliedrige Anlage in der Nordostecke der Stadt, bewußt abgerückt von den Bürgerhäusern, ein reicher Hort geschichtlicher Erinnerungen. Weit reicht der Bau in den Schoß der Zeit zurück. Seine Besitzerreihe: Bischöfe von Passau — Grafen von Schaunberg — Herren von Starhemberg ist schicksalhaft für die Stadtgeschichte gewesen. Der moderne Betrachter kann dieses historische Faktum nur zweifelnd hinnehmen und wird es ungenügend zu begreifen versuchen. Ihm ist jede Stadt ein Glied des Staates, dem dieser einige Verwaltungsaufgaben überlassen hat. Eine „private“ Stadt¬ herrschaft ist für ihn unvorstellbar. Die mittelalterliche civitas gehörte aber nicht allein einem Staate an, den es in diesem Sinne noch gar nicht gab, sondern vor allem einem Stadtherrn. Dieser verlieh ihr Privilegien, Gnaden, Confir¬ mationen ihrer alten Rechte, er schützte sie in ihren Fehden. Sie war dafür wirtschaftlicher Mittelpunkt seines Herrschaftsbereiches. G. v. Schmoller sieht sogar in den aufsteigenden Gegensätzen zwischen Stadt und Grundherrn, in dem Herauslösen der Städte aus größeren Territorialkörpern den Verlust bedeutender *) J. Zibermayr, a. a. O., S. 316 f. Zu den folgenden Ausführungen über die erste schrift¬ liche Erwähnung Eferdings vgl. O. Wutzel, Bevölkerung, Recht und Verfassung der Stadt Eferding in Oberösterreich, Innsbrucker Diss. 1946, Anm. 32. 293

Oberösterreichische Heimatblätter volkswirtschaftlicher und politischer Aufgaben begründet und glaubt darin die frühesten Keime des beginnenden Verfalls im mittelalterlichen Städtewesen zu erkennen. Diese Erscheinung war einstmals für die Forschung so auffallend, daß sie in der heiß umstrittenen städtischen Entstehungsfrage zur sogenannten hof¬ rechtlichen Theorie geführt hat, also zur Annahme der Entwicklung aus einer Burg, während man heute in dem Marktrecht die entscheidende Keimzelle zu erkennen glaubt. Die Stadtherren waren in allen Führungsschichten des Mittel¬ alters zu suchen. An ihrer Spitze standen zunächst die Bischöfe, weiters die Könige, in späterer Zeit auch die Landesfürsten und mit bescheidenen Ansätzen die übrigen Grundherren. Die Geschichtsschreibung spricht deshalb von Königsstädten, Bischofsstädten, landesfürstlichen und grundherrschaftlichen Städten 7) Eferding war eine Bischofsstadt. Außerst plastisch lassen sich die historischen Hauptlinien der passauischen Zeit herausarbeiten. Der Herrschafts¬ bereich der Bischöfe lag vor allem in Österreich. Neben der Obsorge für den Glauben war dem mittelalterlichen Kirchenfürsten die Sorge um seinen weltlichen Besitz von gleicher Wichtigkeit und Bedeutung, denn nur als Grundherr konnte er sich behaupten. Mit Bischof Piligrim (971 — 991) setzte die machtvoll geplante politische Arbeit der Passauer entlang der Donau nach Osten ein. Eferding war ein Baustein in ihrer Konzeption. Es sollte ein hervorragender wirtschaftlicher Ort werden, ein Konkurrenzmarkt für die landesfürstlichen Städte 8). Deshalb die großzügige Anlage des Hauptplatzes! Das Kapitel tagte oftmals hier, mehrere Urkunden der päpstlichen Kanzlei schlossen seit 1189 mit der Datierung: acta März 1231 ist in sunt ... ad capitulum Everdingen. Eine Urkunde vom 7 diesem Zusammenhang besonders aufschlußreich. Hermann, der Sohn Dietmars von Porsinbrunn, bekam damals vom Vorsteher St. Florians einen Hof in Raffel¬ ding als ius coloni. Neben der jährlichen Steuerleistung, die dafür vertraglich abgemacht wurde, mußte er zusätzlich den Florianer Herrn begleiten und ihm ein Pferd beistellen, wenn das Bischofkapitel in Eferding tagte. Dieses Pergament muß unsere Vorstellungskraft bewegen. Es zeigt, daß Reichtum, Prunk und hohe Politik oftmals Einkehr in unsere Stadt gehalten haben. In den ruhigen Zwischen¬ zeiten saßen im Fronhof die bischöflichen castaldi und yconomi, Burghüter und Wirtschafter. Ein Name kann festgehalten werden in Chunrad von Hartheim, der 1255 die Burghut des Eferdinger Schlosses verliehen bekam und verpflichtet wurde, drei Burgmannen (castellani) und zehn gerüstete Bewaffnete (armaturae expeditae) zu halten. Diesem ersten Wachstum drohte jedoch einé ständige Gefahr von außen, es entsprach nicht den natürlichen Grundlagen. Wohl war die Lage der Stadt günstig, aber das notwendige Hinterland fehlte, das Territorium, in dem sich das bürgerliche Gemeinwesen hätte unbekümmert entfalten können. Gleich 7) Vgl. G. v. Schmoller, Deutsches Städtewesen in älterer Zeit (Bonn und Leipzig 1922), S. 129 ff.; C. v. Schwerin, Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl. (Berlin 1941), S. 231. 8) Siehe J. Lahusen, Zur Entstehung der Verfassung bairisch-österreichischer Städte, Ab¬ handlungen zur Mittleren und Neueren Geschichte Heft 5 (1908) S. 41. 294

Wutzel: Eferding außerhalb des Burgfriedensbezirkes bestand eine fremde Macht, den Bischöfen nicht immer gut gesinnt, ihnen in den häufigen Wechselfällen mittelalterlicher Politik verbunden und gleich wieder entgegengestellt, die Schaunberger Grafen, die Inhaber des die Stadt umgebenden und ihr übergeordneten Land¬ gerichtes. Zwischen diesen Polen bestand eine ständige Spannung, die den Bürgern nicht gedeihlich sein konnte. Die beiden passauischen Stadtrechte für Eferding aus dem 13. Jahrhundert sind beredte Zeugen dafür. Sie unterscheiden sich von allen schriftlichen Rechtsfestlegungen für Städte im bairisch-österreichischen Rechtskreis dieser Zeit. Sie sind nicht bloße „Gerichtsordnungen“, wie sie damals üblich waren, sondern Gelegenheitswerke, die der Stadtpolitik und der Bischofspolitik entsprangen. Es sollte durch sie vor allem ungerechten Ansprüchen der Schaun¬ berger, die immer wieder zwischen den Zeilen des Privilegientertes durchklingen, die Stirne geboten werden. Doch bestehen auch unmittelbare Nachrichten über Kämpfe, besonders aus 1359 *), als „... stozz, auffleuff vnd handlung .. zwischen den Grafen und dem Bischof um Häuser, Grundstücke und Waldungen noch einmal mit einem Schiedsspruch verglichen werden konnten. Die Bischöfe verloren in dieser Auseinandersetzung bald den Boden. Die Unruhen in Passau selbst, die seit Bischof Ulrich II. (1215 — 1222) einsetzten und seitdem ständig fort¬ glimmten, 1298 und 1368 zu offenen Revolten ausbrachen, erschütterten Macht und Wirtschaftskraft des Bischofshofes. So mögen viele schwerwiegende Gründe zusammengewirkt haben, daß am 4. November 1367 die Stadt um 4000 Pfund Wiener Pfennige an die Schaunberger verkauft wurde 10). Diese Rechtshandlung befreite Eferding von dem Druck feindseliger Nachbar¬ schaft und verband es mit einem Geschlecht, das zu den kraftvollsten und inter essantesten der österreichischen mittelalterlichen Geschichte zählt. Zu Wilhering und Eferding, in den Gotteshäusern, die ihr Dienst am Glauben so reich gefördert hat, ruhen die Gebeine dieser Mächtigen. künden von ihnen der Nachwelt. Am Sockel der Sakristei der Eferdinger Pfarr¬ kirche hält ein Wappenlöwe ihren viergeteilten Wappenschild. Er stammt mit anderen Wappentieren, die hier eingemauert wurden, von einem einstigen Hoch¬ grab. Seine steinerne Wucht und sein grauer Ernst öffnen unser inneres Auge und lassen wie in einer Vision die Zeit der Ritterschaft und des Fehdekampfes erahnen. Sagenhaft in ihrer Herkunft tauchten die Schaunberger im 12. Jahr¬ hundert an der Donau auf. Schon hundert Jahre später waren sie hier übermächtig. In drei Herrschaftsbereichen geboten sie, in Kammer, Julbach und dem eigentlichen Schaunberger Gebiet, Landrichter nannten sie sich im sogenannten Schwere rote Marmorplatten Landgericht Donautal, das damals fast den ganzen nördlichen Traungau umfaßte. Ulrich I. diente als treuer Berater drei Landesherren. Der entscheidendste Zug ihrer Politik wurde aber das Streben nach Reichsunmittelbarkeit und hier lag der Keim zum Konflikt mit den Habsburgern, der unter Rudolf, den die Nachwelt den Stifter *) O. 5. Urkundenbuch, Bd 3 nr. 1 und Bd 7 nr. 637. 10) O. ö. Urkundenbuch, Bd 8 nr. 353 und 354. 295

Oberösterreichische Heimatblätter nennt, zu wirken begann und unter dessen Bruder Herzog Albrecht III. offen aus¬ brach. Ein schwerer Krieg muß es gewesen sein, der damals an der Donau tobte. Umfassende diplomatische Vorbereitungen gingen ihm voraus, Eferding wurde nach Belagerung von den Österreichern genommen, die Schaunberg von herzog¬ lichen Truppen vergebens berannt, bis schließlich im Jahre 1381 in einem Waffen¬ stillstand der stolze Wille der Grafen sich beugen mußte 11). Doch ihr Sinn wurde nicht demütiger. Sie blieben die Mächtigen und widmeten sich nun erst recht ihrem Territorium. Eferding wurde dabei immer mehr das Herzstück ihres Wirkens. Was den Waffen versagt geblieben war, sollte durch Friedensarbeit erreicht werden. Wie selbständige Landesherren verliehen Graf Johann (II) und Graf Georg (III) ihrer Stadt Rechte und Marktprivilegien, begnadeten die Handwerke mit Zunftordnungen, bauten eine neue Veste an Stelle des passauischen Hofes. Als prächtiger spätgotischer Hallenbau begann die neue Pfarrkirche zu erstehen. Mit ganz anderen Empfindungen umfassen unsere Sinne nun den Nord- und Ostflügel des Schlosses, die beide noch alte Bauteile enthalten und Zeugenschaft ablegen von dieser Zeit. Mit ernstem Blick schauen wir zurück, um nochmals den Bergfrit im dunklen Waldhang zu suchen, der damals den Bürgern den Wohnsitz ihrer wichtigsten Autorität angezeigt hat. Den entscheidenden Eindruck vermittelt das Schloß heutigen Tages aber mit seinem Südflügel. Er wendet die volle Schauseite dem Stadtplatz zu, ist drei¬ geschossig, zeigt 11 Fensterachsen und ist im Mittelteil belebt durch einen Risalit mit vier einfachen Säulen und einem Dreieckgiebel, in dem das Starhembergische Wappen aufgemalt ist. Dieser Gebäudeteil wurde 1784 erbaut. Er ist kein überschwenglich prächtiges Adelsschloß, wie sie so zahlreich im Barockzeitalter in Städten und Villenvororten der Städte emporgewachsen sind, darf aber auch nicht bloßer Zweckbau einer ländlichen Gutsherrschaft genannt werden. Er besitzt seinen eigenen Charakter und ist aus diesem heraus mit voller Berechtigung als Star¬ hembergisches Schloß zu bezeichnen, obwohl die Bauwurzel weit ins Mittelalter zurückreicht. Mit Graf Wolfgang (II) war das Geschlecht der Schaunberger am 12. Juni 559 ausgestorben. Des Grafen Schwester, Anna, brachte ihrem Gemahl, Erasmus I. von Starhemberg, die an Gebiet und Macht überaus reiche Erbschaft zu. Damit begann für Eferdings Stadtgeschichte eine völlig neue Ara. Die Zeit hatte die rechtlichen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse bereits stark gewandelt. Es gab nur wenig Raum mehr für eigenstolze Selbständigkeit und Selbstherrlichkeit. Der „Staat“ trat in Erscheinung. Das Verwaltungs- und Gerichtsleben erfuhr seine straffe Zentralisierung in der Landeshauptstadt Linz. Überdies zerstörte das neue Herrengeschlecht die Geschlossenheit des Territoriums 1) Die beiden wichtigsten Werke zur Geschichte der Grafen von Schaunberg: J. Stülz, Zur Geschichte der Herren und Grafen von Schaunberg, Sonderdruck aus dem 12. Band der Denk¬ schriften der kais. Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse (Wien 1862); O. H. Stowasser, Zwei Studien zur österreichischen Verfassungsgeschichte. I. Reichsstandschaft und Landeshoheit in Österreich. Untersuchungen zur Geschichte der Grafen von Schaunberg, Zeitschrift der Savigny¬ Stiftung für Rechtsgeschichte Germ.-Abteilung Bd 44 (1924) S. 114—152. 296

Wutzel: Eferding um die Stadt durch viele Teillibelle 12). Aus dem bedeutenden passauischen und schaunbergischen Herrschaftsmittelpunkt wurde die kleine Stadt am Rande der Ereignisse und am Rande der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine staatliche Förde¬ rung konnte nicht wirksam werden, da der Besitz-„privat“ war und dem „privaten Besitzer fehlten wieder die Machtmöglichkeiten des Mittelalters. So betrat unter den ersten Starhembergen schon Eferding seinen Weg der Abgeschiedenheit, der ihm heute einen starken Reiz verleiht. Doch wurde es Eigenart der Starhemberge, nicht nur bescheiden im kleinen Kreis zu leben, sondern im öffentlichen Dienst oftmals weit über den Familienrahmen hinauszuwachsen. In dieser wechselseitigen Stellung von örtlicher Landstandschaft und weltweiter Residenzherrlichkeit bewohnten die Herren und späteren Reichsgrafen ihr Schloß zu Eferding. Dieses bewahrt in seiner heutigen Gestalt noch den besonderen geschichtlichen Wesenszug seines Ge¬ schlechts, mag der Bau auch schon sehr verträumt wirken, einem alten Herrn gleich mit sauber gepflegter Kleidung, aber weltabgeschiedenem Blick. Von völlig anderer Seite wurden der Stadtgeschichte nochmals markante Züge aufgeprägt. Der Protestantismus hatte seit Jahrzehnten im Lande ob der Enns seinen Einzug gehalten. Wie die meisten Adeligen traten auch die Starhemberge in seine Reihen ein. Neben dieser religiösen Revolutionierung der Gemüter begann bald eine soziale wirksam zu werden, die kurze Zeit noch die Landesfürsten mit den protestantischen Ständen verband. 1595 brach in vielen obderennsischen Orten ein Bauernaufstand los. Eferding wurde bald ein Mittelpunkt. Geheime Fäden zogen sich zu den Aufständischen am flachen Lande. Drei Bürgernamen blieben als angebliche Rädelsführer in einem umfangreichen Akt schriftlich erhalten: Paul Neumüllner, Stefan Pofferl, Franz Rüth. Ständische Truppen mußten die Stadt im Kampf nehmen und 1597, am 3. November, führte Erasmus (II) von Starhemberg einen Ausgleich mit seinen Untertanen herbei, der sich ein¬ gehend mit Freigeld, Robot, Steuer und sonstigen Diensten beschäftigte 13). Im großen Bauernkrieg von 1626 zählte Eferding vollends zu den bedeutenden Plätzen des Aufstandes und im Seebacher Moos und Emlinger Holz erinnern ernste Mal¬ steine an die schweren Ereignisse dieser Zeit. Vorher schon hatten die adeligen Stände ihr Spiel verloren. Besonders schwer mußte Erasmus an den Folgen der Niederlage leiden. Seiner Güter verlustig erklärt, wieder begnadigt, durch drük¬ kende Schulden aber zum Verkauf der Stadt an seinen Hauptgläubiger Franz Füll von und zu Grünerzhofen gezwungen, stellt er ein typisches Adelsschicksal dieser Zeit dar. Erst 1660 konnten die alten Besitzer ihr verlorenes Gut zurückerwerben, nachdem 1632 Eferding nochmals die harten Lasten eines Bauernaufstandes be¬ drückt haben. Von jetzt ab mehren sich die bekannten Starhembergischen Namen, die als Feldherrn und Diplomaten den Kaisern dienten und in ihre ländliche Stadt den Abglanz ihrer Erfolge mitgebracht haben mögen: Konrad Balthasar, der die 12) Siehe J. Schwerdling, Geschichte des uralten und seit Jahrhunderten um Landesfürst und Vaterland verdienten, theils fürstlich, theils gräflichen Hauses Starhemberg (Linz 1830). 13) O. ö. Landesarchiv, Musealarchiv Eferding-Schaunberg, 6. Schuberband. 297

Oberösterreichische Heimatblätter materielle Basis des Familienbesitzes festigte und eine umfangreiche Stadtrechts¬ urkunde verlieh; Heinrich Ernst Rüdiger, Hofkriegsratspräsident und Verteidiger Wiens im Jahre 1683, der seit 1687 ganz zurückgezogen auf seinen Gütern lebte; Georg Adam, glänzender Diplomat zu Maria Theresias Zeiten, Bauherr des Süd¬ flügels im Schloßkomplex 14). Unwillkürlich ist mit dieser Schau aus der Stadt geschichte ein Stück österreichischer Geschichte geworden. Der passauische Fronhof, die Schaunberger Burg und das Starhembergische Schloß haben viel erzählt und lebhaft die äußeren Schicksale der Stadt verfolgen lassen. Doch nicht die Kräfte, die von außen gewirkt haben, machen die Betrachtung eines mittelalterlichen städtischen Gemeinwesens so reizvoll. Vielmehr ist es das alltägliche Leben der Bürgergemeinde, dem wir nachspüren, das unsere Phantasie erregt, das träumerische Vorstellungen hervorruft, weil wir darin die eigenen Vorfahren, das eigene Ich in früheren Stufen erkennen. Wir spiegeln uns in den alten Bildern wieder. Die bauenden und schirmenden Hände der Stadt¬ herren haben sicher wesentlichen Anteil an der Formung des Antlitzes einer Stadt getragen, doch gleiche Kräfte der Gestaltung strömten von der Ratsstube, dem Marktplatz, dem Gotteshaus und den Werkstätten der Meister und Gesellen aus. Dabei war schon von der äußeren Stadtgeschichte her zu erkennen, daß die ein stigen Verhältnisse gegenüber den heutigen grundverschieden lagen. Nirgends mag dies dem Laien deutlicher werden als an dem Begriff der Stadtbefesti¬ gung mit ihren Mauern, Wehrgängen und beturmten Toren. Es ist müßig zu streiten, ob zur mittelalterlichen Stadt eine Wehranlage unbedingt gehörte oder nicht. Die Fachwissenschaft ist zeitweise solchen Gedankenspielen nachgegangen und hat damit die Unterschiede der Städte zu den Märkten verwischen wollen. S. Ritschel, ein großer Kenner des deutschen Städtewesens, fand eine treffsichere Formulierung dazu: „Der Unterschied zwischen Stadt und Markt ist tatsächlich darin zu suchen, daß die Stadt befestigt ist, der Markt aber nicht. Die Stadt ist ein Markt, der zu¬ gleich Burg ist. Alle Städte sind Märkte, aber nicht alle Märkte sind Städte; alle Städte sind Burgen, aber nicht alle Burgen sind Städte“ 15). Das vergangene Leben mit seiner Auffassung des Rechtsganges als Kampf, mit seinen ständigen Möglichkeiten des „Krieges“ zwischen König und Fürsten und Fürsten untereinan¬ der bis hinab zu den kleinsten Grundherren stellte dem Leben die Forderung, den Wohnplatz auch zum Wehrplatz zu gestalten, soweit Wehrfähigkeit rechtlich zustand. Wehrrecht war aber nicht nur eine Verpflichtung, sondern auch ein Vorrecht, eben¬ so natürlich das Befestigungsrecht. Es mußte verliehen sein. Für Eferding ragt diese Frage in eine politisch hochgespannte Zeit hinein, in das österrechische Inter¬ regnum des 13. Jahrhunderts. Am 1. April 1253 16) unterwarf sich der Premys¬ lide Ottokar als Herzog von Österreich einem Schiedsspruch der Bischöfe von 1) Siehe Anm. 12. 15) S. Ritschel, Markt und Stadt in ihrem rechtlichen Verhältnis (Leipzig 1897), S. 150. 16) O. ö. Urkundenbuch, Bd 3 nr. 204 und nr. 490. Vgl. dazu F. Kurz, Österreich unter den Königen Ottokar und Albrecht I. (Linz 1816), 1. Teil, S. 44. 298

Wutzel: Eferding Bamberg, Freising und Seckau, worin es hieß, daß der Bischof von Passau seine Städte (oppida) St. Pölten und Eferding befestigen dürfe und der Herzog bei An¬ drohung des Bannspruches sich hüten möge, diesen Festungen (munitiones) irgend¬ welche Lasten aufzuerlegen. Auch für Übertretungen seiner Parteigänger müsse er einstehen. Ein gleiches Privileg König Nudolfs führte wenige Jahre später (13. Dezember 1276) eine gewandelte, festere Sprache. Die Zeit der Parteiungen und Wirrungen war überwunden. Ein kräftiger Fürst stand nun im Lande, gewillt Ordnung zu schaffen und zu halten. Er gab wohl Privilegien, hielt ihren Text aber in stolzer Wortfassung. Wieder wurde dem Bischof Peter bestätigt, daß er seine villae(!) St. Pölten, Eferding, Mautern und Amstetten mit Mauern, Gräben, Türmen und weiteren Befestigungswerken versehen, aber sonstwo in seinem geistlichen Territorium keine Wehranlagen errichten dürfe. Verlauf und Bauart dieses ersten Stadtwalles lassen sich heute nicht mehr feststellen. Sicherlich ist er in Ausdehnung und Verteidigungswert vom Primitiven zur wertvollen Fortifikation des Spätmittelalters emporgestiegen. Seine Probe hatte er in den Schaunberger Fehden und den Bauernkriegen zu bestehen. Nur spärliche Gesteins¬ reste haben sich erhalten, so vor allem das kleine, in unregelmäßige Hausteine ein¬ gefaßte Burgtor. Oberösterreichs Städte lassen überhaupt den romantischen Schmuck von Mauern in starkem Ausmaße vermissen. Allein Freistadt macht darin eine Ausnahme. Dafür zeigt Eferding mit geringfügigen Verbauungen noch heute den Zug seines ehemaligen Stadtgrabens. Oftmals blieb in deutschen Städten der Altstadtkern erhalten, die Altstadtumrahmung aber wurde durch an¬ gegliederte neue Stadtteile bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Eferding ist dagegen nur wenig über seine alten Grenzen hinausgewachsen. Vom oberen und unteren Graben aus bietet sich eine Fülle malerischer Szenerien. Der Siedlungshistoriker findet eine leichte Aufgabe: Römerlager, altpassauischer Siedlungskern, Grün¬ dungsmarktplatz des 13. Jahrhunderts, Schifersches Spitalviertel, Vorstadt lassen sich einwandfrei erkennen und beschreiben (siehe Stadtplan). Was die Zeit ver¬ nichtet hat, blieb wenigstens, soweit es die Tore betrifft, in drei Bildern des Stadtarchivs erhalten. Sie zeigen das Schaunbergertor als wuchtigen, quadrati¬ schen Bau mit abweisender Außenfront und gotischer Spitzbogeneinfahrt, ein eigen¬ artiges Parallelstück zum ernsten Grau der Veste am Berg. Das Peuerbachertor zeigt noch stärkeren Festungscharakter, ist eigentlich mehr einem Wehrgang ver¬ gleichbar. Spielerisch umgebaut war bereits das Linzertor. Schmerzlich erleben wir an den Bildern den schweren städtebaulichen Verlust, der durch die Abtragung dieser Bauwerke entstanden ist. Das Schaunbergertor erhob sich einst westlich der heutigen Knabenvolksschule am Kirchenplatz (abgerissen 1830), das Peuerbachertor stand bis 1827 am Westende der Schmiedgasse, das Linzertor überbrückte beim Haus Schiferplatz Nr. 11 die Straße (abgerissen 1828). Das moderne Gemüt mag die Vorstellung eines Mauerzuges wie eine Be¬ engung, als Beschränkung der persönlichen Freiheit empfinden. Der mittelalterliche Mensch war aber nicht so sehr Individuum als Glied einer Gemeinschaft. Seine 299

Oberösterreichische Heimatblätter Stadt war sein einzig möglicher Lebensraum. In ihr genoß er Rechtsfrieden, Marktfrieden und unbedingte Sicherheit für Körper und Gut. Das Wort „Friede war dabei nicht eine leere Redensart, sondern ein Rechtsbegriff und höchstes Da¬ seinsziel auf Erden. Die Stadt war vor allem ein Burgfriedensbezirk. Wie dieser entstanden sein mag, was er rechtshistorisch eindeutig darstellte, dar¬ über kann die Fachwissenschaft noch keine endgültigen Aufschlüsse geben 17). Doch uns genügt die Vorstellung des Friedensbezirkes. Schon im ältesten Stadtrecht vom 14. Juli 1222 18) erkennen wird die Existenz eines eigenen bischöflich-städ¬ tischen Gerichts, dem Bürger, Markt und die im Donauarm anlegenden Schiffe unterstanden. Das Stadtgebiet reichte dabei von der curva aha(?) bis Tratwerde. Die Bevölkerungsbewegung in die Stadt wurde damals sehr unterstützt. Alle Zu¬ wanderer durften aufgenommen werden, ausgenommen Leute, die Diebsgut offen¬ sichtlich mit sich trugen. Dafür brauchte aber ein Geächteter nicht ausgewiesen werden, soferne er nicht in der Stadt zum erstenmal angeklagt und seine Achtung dort öffentlich verkündet worden war. Bei schweren Kriminalfällen bestand frei lich gegen das Landgericht die Auslieferungspflicht. In der Stadt gefangene Diebe z. B. waren an den Landrichter zu überstellen. Fiel ein Bürger in die Acht, konnte er sich durch Sühne lösen und bis dahin in der Stadt festgehalten werden. Noch deutlicher äußerte sich das Privileg von 1260, das in gewohnheitsrechtlicher Befangenheit des Ausdrucks die schriftliche Fixierung des Burgfriedensbezirkes versucht: Er reiche von einem Birnbaum am Innfluß bis zu jener Stelle, wo sich der Fluß gegen die Stadt wende, und umfasse auch einige Inseln — ein typisches Beispiel der Schwerfälligkeit in den Anfängen der mittelalterlichen Rechtsauf¬ zeichnung, die noch ganz von der mündlichen, fest überlieferten Übung beschattet wurde. Kein Landrichter durfte dort amtieren. Auszuweisen waren Diebe und Totschläger. Diese frühen rechtlichen Bestimmungen zeigen den wesentlichen Charakterzug des Burgfriedens als städtischen Schutzbereich. Irgendwie dazu in Beziehung stand ein weiterer Begriff, das Burgrecht, eine geringfügige Geld¬ abgabe, deren Sinn nur in einem symbolischen Anerkennungszins für den Rechts¬ schutz und die Grundüberlassung von Stadtgrund verstanden werden kann. Immer wieder kehrt die Formel ... vnd wir sein auch des alles ir recht gewern vnd fürstandt für all rechtleich ansprach wo in des not vnd dürft geschiecht als chawfs purkchrechts vnd der stat ze Euerding recht ist . . .“, wofür der neue Grundinhaber sich verpflichtete, daß er seine Gründe ... stifftlich vnnd peülich hallten müsse und nichts dürfe ... schmöllern, taillen noch enndtziechen lassen.Aus 1324 19) besitzen wir die erste Liste, die zeigt, daß für Häuser 1 —12 Pfennige, meist aber 5 Pfennige eingehoben wurden. 1569/70 betrug die Einnahme der Stadt aus den Burgrechten: 4 fl (Gulden) 1 B (Schilling) 27½d (pfennige); 1579/80: 4 fl 1B 22 d; 1623/24: 4 fl; 1626 —29: 4 fl 4 B 22 d. 17) Aufschlußreichste Literatur dazu A. Hoffmann, Die oberösterreichischen Städte und Märkte, Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereines Bd 84 (Linz 1932) S. 82 ff. 18) O. ö. Urkundenbuch, Bd 2 nr. 437 und Mon. Boic., collectio nova, 29, II, S. 86. 300

Wutzel: Eferding Wieder hat die urkundliche Einsicht den Bildeindruck des Stadtgrabens und der Stadttore vertieft. Der eng geschlossene Stadtbezirk hatte um sich einen weiteren Burgfriedensraum, in dem der Stadt Recht galt, der unter ihrem besonderen Schutz stand. Es war ein Lebensraum, der sich von dem umliegenden flachen Land deutlich abhob und dem einfachen Mann eine gebesserte Lebensform erlaubte. Wie gestaltete sich nun das tägliche Leben innerhalb dieser Mauern? Welchem Erwerb gingen die Bürger nach, welche kulturellen Bedürfnisse hatten sie, wie richteten sie die Ordnung der Gemeinschaftsprobleme ein? Wie groß war vor allem die alte Stadt? Letztere Frage ist äußerst schwer zu beantworten. Volkszählungen im modernen Sinne gab es erst seit der Regierung Kaiser Joseph II. Aus dieser Zeit finden sich auch für Eferding die ersten Angaben 20 Die Ge¬ meinde bestand damals aus der Stadt mit 145 Häusern, der Vorstadt mit 73, der Kühgasse mit 13 und einer Wohnstatt, die zum Dorf Wörth gehörte, zusammen 232 Bauten, in denen 1622 Seelen wohnten (732 Männer, 890 Frauen). Die Konskriptions-Resultate von 1834 zeigten ein leichtes Ansteigen der Bevölkerung: In der Stadt 146, in der Vorstadt 84 und der Kühgasse 14, zusammen 244 Häuser mit 502 Haushalten und 1990 Seelen (912 männlich, 1078 weiblich). Der Zu wachs geschah also hauptsächlich außerhalb in der Vorstadt, die im Bereich des Die oberen und südlichen unteren Grabens und der Ledererstraße zu suchen ist. eigentliche Stadt besaß durch die Mauer ihren festen Rahmen mit ungefähr 145 Baulichkeiten, eine Zahl, die sich heute noch nicht geändert hat, wenn untere Graben als nördliche, östliche und südliche, die Schauenbergerstraße westliche Begrenzung genommen werden. Für die ummauerte Stadt ergibt aus einem ungefähren statistischen Versuch die Einwohnerzahl von 1000 —1100, Die womit ziemlich sicher auch die mittelalterliche Wohndichte gewonnen ist. fest¬ Ledererstraße muß wohl noch hinzugerechnet werden, da sie seit 1440 schon stellbar ist, aber gerade dieser Teil wird sich erst in der neueren Zeit lebhafter ent¬ wickelt haben. Die Zählung von 1834 gibt auch über die soziale Verteilung der Wohnstätten Aufschluß. Es finden sich im Stadtbereich: 2 Viertl-Bauern mit 12 —16 Joch, 1 Söldner mit 8 Joch, 10 Pointler mit 1—3 Joch, 1 Dominikal¬ wirtschaft, 6 herrschaftliche Gebäude, 2 Spitalsstiftungen, 1 Pfarrhof, 1 Schul¬ haus, 1 Mesnerhaus, 2 Freihäuser, 1 evangelisches Bethaus, 1 Pastorhaus, 133 Gewerbehäuser, 70 Kleinhäuser ohne Grundeigentum. Die Berufsstatistik gibt an, daß damals 82 Haushalte sich allein mit Landwirtschaft beschäftigten, 198 allein mit Gewerben, 79 mit Gewerben und Landwirtschaft, 143 mit verschie¬ denen Berufen. So läßt sich das Bild einer Handwerks- und Ackerbürgerstadt von einem Größenverhältnis gewinnen, das auch für mittelalterliche Begriffe klein 19) A. Maidhof, Die Passauer Urbare, 1. Bd. Die Urbare des Hochstiftes im 13. und 14. Jahrhundert (Passau 1933), S. 600 ff. nach 2 Handschriften, bezeichnet als P 10 und P 10½ (siehe darüber ebenda, S. XL ff.). 20) Quellen für die folgende Darstellung: O. ö. Landesarchiv, Fassionsbuch der Gemeinde Stadt Eferding (Josefinisches Lagebuch) und Franziszeischer Kataster, besonders 159/4 „Ökonomische Fragen“ und 159/16 „NohertragsElaborat des ökonomischen Commissärs“. 301

Oberösterreichische Heimatblätter war 21). Diese statistischen Zahlen können durch weitere Quellen stark vertiest werden. Ich habe in langer Arbeit über den Zeitraum vom 12. —16. Jahrhundert für die Stadtgeschichte aus verstreuten Urkunden und Akten 548 Bewohnernamen gesammelt. Als lebendiger Ertrag dieser Sammlung ist folgendes Bild entstanden. Die großen Reichsstädte waren im ausgehenden Mittelalter erfüllt von den leidenschaftlichen Parteikämpfen der Patriziergeschlechter mit den zu politischen Instrumenten gewordenen Zünften der Handwerke 22). Auch in den landesfürst¬ lichen Städten des Landes Österreich ob der Enns flackerten diese Auseinander¬ setzungen in etwas gemilderter Form, zwangen die Landesfürsten zu oftmaligen Schlichtungsschritten bei „Stoß und Irrung“ und zu neuen Bürgerordnungen, die Verfassungs- und Berufsrechte zu regeln versuchten. Die Kernfrage war dabei die, daß das Bürgerrecht nur den behausten Bewohnern zustand, also den alt eingeses¬ senen Familien, während die neu wachsenden Handwerkskreise in soziale Minder¬ stellung gedrückt wurden. Die grundherrschaftliche Stadt Eferding kannte dieses Problem nicht. In ihr waren die Handwerker nicht nur die Hauptträger des Wirtschaftslebens, sondern das tragende Element der Bewohnerschaft überhaupt. Sie waren die Bürger, versahen ihre Aufgaben im Stadtrat und stiegen sogar zur Stadtrichterwürde empor wie 1594 der Weißgärber Abraham Sterer. Daß es minder berechtete Personen daneben gab, ist selbstverständlich, den Kreis des Ge¬ sindes. Da und dort wird in den Urkunden ein lediger Knecht, ein Geselle, ein In¬ wohner genannt. Das Bild ist damit aber noch nicht abgeschlossen. Wie in den großen Städten die Ministerialen und später die Ritter, also der Kleinadel, oft und zahlreich ihren Wohnsitz als Wächter und Beamte der Stadtherren hatten, wie in unserer Heimat in Steyr diese Kreise sogar eine große Rolle im inneren Leben der Stadt spielten, sich von der Gemeinschaft nicht ausschlossen, sondern sich mit ihr verbanden, so machten auch die Schaunberger Grafen, vorher die Passauer Bischöfe, Teile ihres Dienstadels in der Stadt Eferding seßhaft. Allerdings darf man dazu nicht die passauischen yconomi und castaldi und die gräflichen Pfleger zählen, die in der Burg hausten und nur ihrem Herrn verpflichtet waren. Trotz dieser Einschränkung ergeben sich aus den Urkunden mehrere Hinweise: 1190 ein vir illustris Rechwin, 1222 ein Ditricus de Puhel, wenige Jahre später ein Calhohus de Eferding, auch Turmhüter zu Katzberg, im 14. Jahrhundert die Prüschenk und Liechtenwinkler, im 15. Jahrhundert die Kirchberger und schließlich die Stadtrichter bis um 1550, die meist aus dem Dienstadel kamen. Daneben können einige Bürgernamen mit etwas blutvolleren Zügen gezeichnet werden. 1232 — 1250 muß ein Rudegerus Everdingarius äußerst reich und mächtig ge¬ wesen sein. Die Bischöfe würdigten ihn mehrmals der Zeugenfähigkeit bei Rechts¬ 21) Vgl. dazu G. v. Schmoller, a. a. O., S. 62. 22) Beste Literatur für die oberösterreichischen Verhältnisse: F. Kurz; Österreichs Handel in älteren Zeiten (Linz 1822); A. Hoffmann, Verfassung, Verwaltung und Wirtschaft im mittel¬ alterlichen Linz, Heimatgaue Ig 16 (1935) S. 97—136; Die Bevölkerungsliste bei Otto Wutzel, a. a. O., S. 139 ff. 302

Wutzel: Eferding geschäften, für Bürgerliche in dieser frühen Zeit eine Auszeichnung. Der Stadt¬ richter Otto Franc um 1250 focht einen langwierigen erfolgreichen Kampf mit den Stadtherren aus, die sich zu einem Vergleich herablassen mußten. Männliche Stärke und angenehme Wirkung atmet die Gestalt des Ulrich Münichmayr aus, eine Persönlichkeit, die um 1450 im Stadtleben segensreich wirkte, auch Land¬ richter im Donautal war. Vormund der Tochter wurde sogar Graf Siegmund von Schaunberg. Ciriac Schreckinger ließ sich in seiner Fehde gegen die Gräfin Anna nicht beirren. Seine Klage kam bis in die kaiserliche Kanzlei in Wien. Verheiratet war er mit der Tochter des Verwesers des Werkhauses in Schwaz (Tirol), ein Be¬ weis für die weitreichenden Familienverbindungen der damaligen Zeit. Wolf See¬ berger war Gläubiger des Starhembergers Erasmus, dessen politische Not bereits geschildert wurde. Dem Bürger schuldete der Grundherr 2000 fl. Ein streithafter Charakter muß Sigmund Gämbl gewesen sein, der als strenger Katholik verbissen gegen die neuen Religionsansichten und deren Vertreter in der Stadt ankämpfte. Das 15. und 16. Jahrhundert darf das Blütezeitalter der Stadt genannt werden. Besonders in diesem Zeitraum besaßen die Meister der ehrsamen Handwerke die unbedingte Führung im Stadtleben und in den Stadtgeschäften. Durch den Hand¬ werkscharakter trug die Bevölkerung alle Zeichen einer vorteilhaften Geschlossenheit an sich und wir können uns für Eferding das reiche Gemüt des deutschen Zunft¬ lebens im Spätmittelalter in lebhaften und freundlichen Farben denken. Den Ein¬ gang in diese Welt verschaffen besonders die Handwerksordnungen, eine Quellenart, die die dichterische Tiefe von Gustav Freytags bürgerlichen Kapiteln in seinen „Bildern aus der deutschen Vergangenheit“ und der Novelle E. T. A. Hoffmanns „Meister Martin der Küfer und seine Gesellen“ glücklich nacherleben lassen. Solche Ordnungen sind für Schuster, Zimmerleute, Leinenweber, Fleisch¬ hauer, Schneider und Kürschner, Bäcker, Hafner, Müller, Lederer, Tischler, Schlosser und Büchsenmacher zu finden. Das vornehmste und reichste Gewerbe war das der Leinenweber, in dem 1580—1590 17 Meister arbeiteten und schon 1240 ein Ver treter feststellbar ist. Daneben waren noch ansässig Fischer, Schwertfeger, Messer¬ schmiede, Faßzieher, ein Brauer, Sattler, Maurer, Binder, Glaser, Weißgärber Schwarzfärber, Drechsler, Handschuhmacher, Hufschmiede, Tuchscherer und Hut¬ macher, eine ansehnliche Zahl für die kleine Stadt, die ihre Nahrung redlich verdiente und in fester Regelung die gewonnenen Produkte absetzte. Die Stadtherren gaben diesen Gewerben in kluger Lenkung umfangreiche Privilegien, die Rechtsleben, Arbeitsablauf und Brauchtum eingehend bestimmten. Das Besondere für Eferding ist dabei der Umstand, daß in der Stadt noch die Laden für die Geizünfte des um¬ liegenden flachen Landes standen. Das Herrschaftsgebiet funktionierte dadurch auch als Wirtschaftseinheit und es ist deutlich der Zug der Schaunbergischen Politik, ein einheitliches Territorium zu schaffen, verspürbar. Aus der Fülle der Szenerien läßt sich nur schwierig ein allgemeines Bild formen. Einen breiten Raum im handwerklichen-bürgerlichen Leben nahm die reli¬ giöse Gemeinschaftsbildung ein. Die Zechen und Bruderschaften 303

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2