OÖ. Heimatblätter 1948, 2. Jahrgang, Heft 1

Oberösterreichische Heimatblätter heren Ansicht nun zur Anschauung seines Freundes zu bekennen. Er setzte sich nun sofort kräftig für die Eiszeitidee ein. Auf der Versammlung der Schweizer natur¬ forschenden Gesellschaft am 29. Juli 1834 in Luzern trug er sie eindringlich vor. Durch diesen Vortrag wurde der junge Neuenburger Geologieprofessor L. Agassiz auf die Sache aufmerksam. Er war als geschulter Geologe diesen neuen Ansichten gegenüber ablehnend und gedachte nun, diese Eiszeittheorie durch Beobachtung als unhaltbar zu überführen. Er besuchte Charpentier im Sommer 1836 im Rhonetal. Dieser zeigte ihm die hausgroßen Findlinge, die so scharfkantig aussahen, daß sie niemals vom Wasser gerollt sein konnten. Agassiz studierte das gegenwärtige Wirken der Gletscher, verglich sie mit den angeblichen Eiszeitspuren im Tale und - wurde ebenfalls von der Eiszeittheorie vollkommen überzeugt. Es ist dies ein merk¬ würdiger Parallelfall zum vorherigen! Nun durchwanderte er unermüdlich den Schweizer Jura, um auch dort Beweise für die Eiszeit zu finden. Erfreulicherweise fand er dabei Förderung durch seinen Landesherrn. Am 24. Juli 1837 war dann in Neuchatel die denkwürige Sitzung der Schweizer naturforschenden Gesellschaft, in der er den erstaunten Zuhörern das großartige Gemälde einer gewaltigen Ver¬ eisung der Alpen entwarf, ja noch mehr. Es ist ja immer so, daß eine neue Idee zuerst überspannt wird, daß man in Übersteigerung verfällt. Das wahre Mittel spielt sich erst allmählich ein. So auch hier. Agassiz verfocht gleich eine gänzliche Vereisung der ganzen nördlichen Erdhalbkugel. Zwar traf er auch auf Widerspruch, doch von nun an war der Gedanke der Eiszeit nicht mehr auszulöschen. Das Wort „Eiszeit“ selbst stammt vom Münchner Botaniker K. Schimper, einem ideenreichen, aber unsteten Kopfe, der 1837 eine Abhandlung „Über die Eis¬ zeit" schrieb, den Ausdruck aber schon vorher in seinen Vorlesungen gebrauchte, ja sogar in einer Ode verherrlichte. Wir können nicht im einzelnen die weiteren Allgemeinschicksale der Eiszeit¬ forschung verfolgen, so interessant dies auch wäre. Erwähnt sei hier nur, daß auch Goethe zu den ersten Verfechtern der Eiszeit zählt. Er schreibt nämlich 5) bei der Schilderung eines Bergfestes (auf dem Harz?): „Zuletzt wollten zwey oder drey stille Gäste sogar einen Zeitraum grimmiger Kälte zu Hülfe rufen und aus den höchsten Gebirgszügen, auf weit in's Land hingesenkten Gletschern, gleichsam Rutschwege für schwere Ursteinmassen bereitet, und diese auf glatter Bahn, fern und ferner hin¬ ausgeschoben im Geiste sehen. Sie sollten sich bei eintretender Epoche des Aufthauens, nieder¬ senken und für ewig in fremdem Boden liegen bleiben. Auch sollte sodann durch schwimmendes Treibeis der Transport ungeheurer Felsblöcke von Norden her möglich werden. Diese guten Leute konnten jedoch mit ihrer etwas kühlen Betrachtung nicht durchdringen." Überblicken wir nun zusammenfassend die diluvialgeologischen Ansichten vor 100 Jahren, so kommen wir zu folgenden Schlüssen. Einigen erleuchteten Köpfen mit scharfer Beobachtungsgabe, kritischem Verstand und selbstständigem Denken ver¬ danken wir seit Ende des 18. Jahrhunderts die Schaffung der Wissenschaft von der Eiszeit. Häufig treten dabei „Laien“ auf, vom Minister bis zum Bauer. Nur sehr 5) J. W. v. Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre, Buch 2, Kapitel 9; vgl. dazu aber N. Philippson, Hat Goethe die Eiszeit entdeckt?, Jahrbuch der Goethegesellschaft Ig 13 (1927).

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