Kastner: Die Kirchenkrippe von Altmünster Archelaus je wieder begegnet. Jedenfalls ist dem Meister in ihm sein schönstes Knabenbildnis gelungen. Da sind noch die anderen Fahnenschwinger und die Ro߬ knechte mit dem Eisenschimmel und dem Fuchsen und der feurige, sich bäumende Rappe, ein edler Araber mit wunderbar gearbeiteter Mähne und einem bis auf den Boden reichenden Schweif. Die mächtigen Kamele kommen mit überlangen Hälsen, auf das prächtigste geziert, unter Schabracken daher oder wie der Elefant mit Truhen beladen. Es ist ein großes Getümmel, ein Rausch der Farben, ein Fest für das Auge, eine Befriedigung für den Neugierigen und Schaulustigen. Es würde zu weit führen, jeden einzelnen des Gefolges zu beschreiben. Dort glüht eine rote Fahne auf und dort blitzt der Wimpel einer Lanze. Diese Farbenfreudig¬ keit ist nicht zu denken ohne die Begegnung mit den Türken, ohne die Besitznahme einer ungeheuren Beute aus der Zeltstadt der Osmanen vor Wien, ohne die neuer¬ liche Auseinandersetzung des Abendlandes mit dem Zauber des Orients. Noch bis in unser Jahrhundert hat diese farbenfrohe Welt besonders in den österreichisch¬ ungarischen Reiteruniformen weitergelebt. Erst das Feldblau und -grau hat sie endgültig verdrängt. Der verhältnismäßig seltene Kindermord hat in Altmünster einige gro߬ artige Frauengestalten. Die klagende Mutter steht mit ihren bittend vorgestreckten Armen groß und heroisch vor uns. Das Flehen ihrer Hände, der Ausdruck des Gesichtes haben etwas Beschwörendes, das die Sprache der Augen aus diesem schönen, aber schmerzerfüllten Antlitz mit dem griechischen Profil (des Klassizismus) eindrucksvoll unterstreicht. Ihr Gegenstück vor den Stufen des Thrones — alles in einem erregenden Zinnober, auch Herodes selbst — hat ihr nacktes Knäblein mit der Rechten an sich gedrückt und hält ihre Linke in einer abwehrenden, ein¬ drucksvollen Geste ausgestreckt. Dazu kommt der schon erwähnte Archelaus, der in jugendlichem Schwung mit allen Reizen der Knabenschönheit den dumpf ge¬ triebenen Vater von seinem furchtbaren Vorhaben zurückzureißen sucht. Die Flucht (Abb. 3) wird in Altmünster ohne stürzenden Götzen und ohne die Räuber aufgestellt, dafür mit weidenden Kühen, der Apfelmagd und dem spielenden Hirten, an den sich die Lämmer drängen. Die Schalmei ertönt im Walde, die Kuhglocken klingen um die heiligen drei Leut und den Engel, der sie führt. Diese Aufstellung erreicht die größte Vertiefung an Stimmungszauber, an Waldesdämmern und Waldeinsamkeit, an einer leisen romantischen Grundstim¬ mung, wie wir sie uns schöner kaum vorstellen können. Es sind nur ganz wenige, aber ausgesucht schöne Figuren verloren in der Weite des Waldes mit seinem Licht- und Schattenspiel, mit dem Wasserfall im Hintergrund und dem Gefelse über den Bäumen, die die Bühne beleben. Diese Aufstellung ist neu und nicht im Sinne des rokokozeitlichen Künstlers. Sie ist ohne die Ebenseer Landschafts¬ krippe nicht zu denken. Der Heimatton ist hier in der Kirchenkrippe künstlerisch gesteigert, das volkstümliche Thema zu einem unvergeßlichen Eindruck verdichtet. Die Gruppe der Fliehenden ist mit besonderer Liebe und Meisterschaft gearbeitet, auch können wir bei nur wenigen Figuren den einzelnen leichter gerecht werden, 325
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