Schmidt: Wien unter Fremdherrschaft Tichtels Tagebuchaufzeichnungen, die er in die Skripten seiner Vorlesungen eintrug, reichen von 1477 bis 1495. Zum weitaus größten Teil sind sie nüchterne Vermerke über Einnahmen und Ausgaben, wie über banale Ereignisse des Haus¬ wesens. Aus der Masse des Belanglosen wurden die kulturgeschichtlichen Angaben herausgelöst, die ein unmittelbar geschautes Bild einer bewegten Zeit ergeben. Die Übertragung aus dem Lateinischen wurde von P. Müller, Linz, besorgt. Aus dem Tagebuch 1477 Am 21. August 1477 habe ich meine erste ordentliche Disputation in der Medizin gehalten. Vom 21. August bis zum 14. September erhielt ich im ganzen nicht mehr als ein großes Weizenbrot und das war eine besondere Seltenheit, denn am 14. August hatte die Belagerung von Wien begonnen, die am 25. August noch verstärkt wurde, als der Ungarkönig Mathias die mittlere Brücke im Werder gewann. Da war zu Wien das Brot teurer als das Geld. Etwas später erhielt ich noch 14 Weizendenare, von denen ich vier meinem Bruder, dem Magister Bartholomäus Tichtel aus Grein, Lizentiaten der Theologie, Seniorkollegiaten des herzoglichen Kollegiums, unserer ehrwürdigen Universität Rektor, durch meinen Diener Johannes Andree aus Grein geschickt habe. Am 21. Oktober endlich haben die Unsrigen mit Gewalt viele Lebensmittel aus Wiener Neustadt eingebracht. Heute am 16. Dezember ist ein denkwürdiger Tag für mich, da ich vor einem Jahre in der Kirche des hl. Stephan hier zu Wien sowohl das Lizentiat als auch die Doktorsabzeichen erhielt. 20. Dezember: Die Belagerung von Wien endigte. Dafür sei dem Herrgott unendlicher Dank, daß der Ungar nichts in der Wienerstadt erreichte, ja daß er nicht einmal die Zäune der Vorstadt anzugreifen wagte, obwohl er doch der erste auf der Welt und eir außerordentlich kriegerischer König ist. Die Belagerung dauerte insgesamt acht zehn Wochen. 1480 Am 5. Mai 1480 hat der Herzog Georg von Bayern zur Übernahme des Familiengutes Wien betreten. 1481 Am dritten Tag Agidi 1481 brach in Wien die Pest aus. Wegen der Ver¬ stärkung dieser furchtbaren Krankheit bezog ich am 2. November die größere untere Stube. 1482 In 7. Stunde vor Mitternacht am 22. Februar 1482 habe ich in der Burg zu Wien dem unbesiegtesten Kaiser Friedrich, Herzog von Österreich, den Eid über die Vorlesungen in der Medizin an der Universität zu Wien geleistet, die er mir in dieser Nacht mit eigener Hand liebenswürdig übertrug. Nachdem der Kaiser Arm und Finger ausgestreckt hatte, reichte er mir seine Hand, als ich zu seiner kaiser¬ 221
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