Oberösterreichische Heimatblätter grube für die Geschichte des verklingenden Mittelalters und besonders seine Dar¬ stellung der Belagerung der Kaiserburg durch die Wiener 1462 gilt als ein Muster geschichtlicher Treue. Diese Art der Chronikaufzeichnungen hat sich fast einzigartig bis auf die jüngste Zeit in Goisern erhalten, wo in vielen Häusern handschriftliche Wiederholungen einer sagenhaften Chronik vom Königreich Goisern und seinem Herrscher Goisram durch Zeit- und Familienereignisse weitergeführt wurden. Ver¬ fasser der Sagenchronik selbst ist Dr. Koloman Mühlwanger aus einem Geschlecht zu Gmunden, der Pfarrer in Goisern war und noch ein zweites phanta¬ stisches Werk verfaßt hat. Eine fremde Hand hat Auszüge davon in ein Druckwerk der Bibliothek von St. Florian eingetragen, das dort nicht mehr auffindbar ist. Es handelt sich um die Chronik einer Reise nach Indien, die Mühlwanger im Auftrag des Papstes Coelestin V. (5. Juli bis 13. Dezember 1294 auf dem päpstlichen Thron) zum Besuch eines Priesters Johannes ausgeführt haben will und in höchst phantastischer Weise beschreibt. Derjenige, der diese Aufzeichnungen Mühlwangers abgeschrieben hat, schloß daran seine eigenen Lebensaufzeichnungen, sie sind gleichfalls abenteuerlicher Art, doch zweifellos der Wirklichkeit entsprechend. Es ist Lorenz Mitternauer, dessen zeitgeschichtliche und persönliche Aufzeichnungen die Zeit von 1484 bis 1523 umfassen. Es ist die äußerliche Bewegtheit seines Lebens, die Mitternauer zu seiner Selbstdarstellung veranlaßte. Er beginnt mit seiner Studentenzeit in Er¬ langen, geht dann auf die Wahl Maximilians I. in Frankfurt über, nimmt an dessen Ungarnfeldzug in Diensten des Klosters Gleink teil, kämpft bei der Erobe¬ rung von Stuhlweißenburg mit und erhält eine Verwundung durch einen Pfeilschuß bei der Belagerung der Ungarnschanze von Ernsthofen an der Enns. Sein Wander¬ leben führte ihn nach Passau, Innsbruck, Trier und in die Schweiz. In Wels war er Zeuge der letzten Stunde des Kaisers Max und es ist anzunehmen, daß er wenigstens zeitweise im Gefolge dieses ungewöhnlichen Mannes stand. Der äußeren Form nach ähnlich sind die Aufzeichnungen des Burghaupt¬ mannes von Steyr Krobat von Labath und des aus Grein gebürtigen Arztes Johann Tichtel. Tichtel wurde Professor und Dekan an der Wiener Universität und hat auf die Blätter mit dem Text seiner Vorlesungen an den Nand sorgfältige Eintragungen über sein Leben gemacht. Der größte Teil von ihnen betrifft allerdings seine täglichen Einnahmen und Ausgaben, doch darunter sind persönliche Schicksale und Zeitereignisse eingestreut, namentlich über die Belagerung und Besetzung Wiens durch Matthias Corvinus. Tichtel war ein bedeutender Mann, gehörte zum Kreis der Wiener Humanisten und durfte sich einen Freund des großen Celtes nennen, mit dem er in Briefwechsel stand. Haben Mitternauer und Tichtel ihre Lebensaufzeichnungen buchstäblich an den Rand geschrieben, so tat dies ihr Zeitgenosse Lienhard Schilling aus Hall¬ statt (1474 — 1540) noch verstohlener. Er war zeitlebens als Schreiber und Buch¬ maler im Stift Mondsee tätig und hat gleichsam als kurze Stoßseufzer mitten in seine Abschriften persönliche Anmerkungen gemacht, teils über geschichtliche Er¬ 52
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