Juraschek: St. Leonhard, Zur kunstgeschichtlichen Einordnung Zur kunstgeschichtlichen Einordnung der Wandmalereien Von Dr. Franz Juraschek (Linz) In St. Leonhard handelt es sich um das erste Beispiel einer vollen gotischen Kirchenausmalung nördlich des Alpenkammes. Schon diese Tatsache allein würde ausreichen, den neuen Fund aus der Fülle ähnlicher Funde als etwas Außer¬ gewöhnliches herauszuheben. Wir können annehmen, daß auch bei uns jede gotische Kirche mit Wandbildern ausgeschmückt war. Es gab wohl keine noch so ärmliche Landkirche, die nicht einen Christophorus, eine Madonna oder ein Jüngstes Gericht besessen hätte. Aber die volle Bemalung aller Kirchenwände war hier bestimmt nicht typisch. Der erste Eindruck der figuralen Darstellung ist der, daß die Malereien aus der Zeit zwischen 1430 und 1450 stammen. Der Maler hat in St. Leonhard den Gedanken des Weltgerichtes dargestellt, nicht etwa realistisch, sondern symbolisch in Köpfen, Halbfiguren und wenigen Vollgestalten, sozusagen statuenhaft neben¬ einandergestellt. Die eigentliche Urteilsszene mit den aus den Gräbern Aufer¬ stehenden, dem Emporsteigen der Guten, dem Absturz der Verdammten in einem figurenreichen Bild zu schildern, lag dem Künstler völlig fern und mußte ihm unerwünscht sein. Hätte er, wie dies damals am Beginn der Spätgotik üblich wurde, die Wände mit vielfigurigen Bildern überdeckt, so hätte er vielleicht ein er¬ götzliches Bilderbuch schaffen können, das uns zu ständigem Studium anregt, das neben dem Raume für sich Bestand hat; aber die Architektur wäre zweifellos zu kurz gekommen. Es gibt im Großen gesehen zwei Arten der Wandmalerei. Die eine ist die er¬ zählende, die recht viel an Einzelheiten in das Bild hineinzupressen versucht, dabei die Architektur kaum berücksichtigt. Das Bild und der Bildinhalt sind das Wesent¬ liche, die Wand wird vergessen. Es ist jene heute herrschende Auffassung von den Aufgaben der Malerei, die darin gipfelt, ein Bild, auf Leinwand oder Holz gemalt und mit einem mehr oder minder schweren Nahmen umschlossen, so vor die Wand zu hängen, daß es alle Blicke auf sich zieht und daß man über das Interessante im Bild seinen Träger, die Wand, als etwas völlig Gleichgiltiges durchaus über¬ sieht. Die ältere Auffassung, jene des früheren und hohen Mittelalters, sah da¬ gegen in der Malerei vor allem eine Dienerin der Architektur, deren vornehmste Aufgabe es ist, den Bau in eine gedanklich-geistige Sphäre zu erheben, ohne aber dadurch die Ganzheit, Farbe und Architektur, die Einheit, bedeutungsvolle Gestalt und Raum nur im mindesten lockern oder gar zerreißen zu wollen. Unser Maler, obwohl in einer Zeit schaffend, da die jüngere Art, die er¬ zählende Malerei, voll zum Siege gelangt und höchste Mode war, ordnet all sein Gestalten der Architektur unter, obwohl diese erst durch ihn Sinn und monumen¬ tale Wirkung erlangt. Das ist seine Großtat. Er schuf mit den Mitteln der Spät¬ gotik ein Denkmal hochmittelalterlichen Geistes.
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