OÖ. Heimatblätter 1947, 1. Jahrgang, Heft 1

Hoffmann: Österreich und das Land ob der Enns Österreich und das Land ob der Enns Von Dr. Alfred Hoffmann (Linz) Die Tatsache, daß in den großen weltpolitischen Spannungen der Gegenwart sich unser Vaterland Österreich als Bebenherd und „Drehscheibe Europas“ erweist, zeigt uns zu unserem Leidwesen, daß die Geborgenheit, an die unsere Väter und Vorväter-Generationen seit dem Wiener Kongreß des Jahres 1815 gewöhnt waren und die begreiflicherweise jetzt als der ideale Zustand eines „goldenen Zeitalters' erscheint, keine von der Natur gegebene Selbstverständlichkeit ist. Wir hatten zwar mit Recht die österreichische Geschichtsbetrachtung auf die geopolitische Kraft, die von dem Raume um Wien ausging und zur Entstehung der großen Donau¬ monarchie führte, eingestellt; denn diese Entwicklung machte Österreich zum Aus¬ gangs- und Mittelpunkt einer Großmacht und damit zum aktiven Gestalter in der europäischen und Weltpolitik und es konnte so die Gefahr rein passiven Erdulden müssens der von anderen Mächten und ihren Bestrebungen ausgehenden An sprüche auf unser Land stets wieder erfolgreich abgewehrt, wenn nicht ganz be¬ seitigt werden. Bei richtigem Zusehen zeigt uns aber die Geschichte in gleicher Weise, daß sich an der schicksalhaften Lage Österreichs immer wieder auch Über schneidungen politischer Kräfte mit umgekehrter, zentrifugaler Wirkung geltend machten, die manchmal auch die Existenz unseres Staates in Frage stellten. Aufgabe dieser kleinen Abhandlung soll es sein, den geschichtlichen Wechsel der Kräfteverhältnisse und seine Auswirkungen auf das Schicksal unseres Heimat¬ bodens und seiner Bevölkerung in großen Zügen zu verfolgen. Dabei wollen wir die besondere Nolle, welche unser Oberösterreich für den österreichischen Staat in seiner jeweiligen Verfassung einnahm, zu erkennen suchen. Auch hier werden uns die bitteren Erfahrungen der Gegenwart mit ihrer Vierteilung des kleinen Österreich dazu helfen, die Zusammensetzung und Eigenheiten seiner ein¬ zelnen Länder in einer neuen Sicht zu erfassen. So interessant und ergiebig es wäre, schon für die vorgeschichtliche Zeit die Wandlungen der Völker und Kul¬ turen auf dem Boden Oberösterreichs zu verfolgen, da sich schon in dieser frühesten Zeit die zwei geopolitischen Haupttatsachen, nämlich die Überschneidung und der Zusammenstoß großer Kulturen, dann aber auch die in diesem Mittelraume immer wieder zutage tretende eigenartige und selbständige Formung kulturellen und staat¬ lichen Lebens deutlich zeigen, so wollen wir uns doch auf die historische Zeit, vor allem seit dem Bestehen des österreichischen Staates, beschränken. Das erste staatliche Gebilde auf dem Boden des heutigen Österreich fällt freilich noch in die „halbgeschichtliche“ Zeit, nämlich das von den um 400 vor Christus eingewanderten Kelten errichtete Königreich Norikum. Norikum stand 15

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