Grüne Steyrzeitung Nr. 1, Oktober 1996

8 'rüne Steyrzeiturig 1/96 Ein Leben zwischen den Stühlen Adem Uzeiragic* komm) aus einer oslbosnischeii Kleinstadt und lebt seit mehr als 5 Jahren mit seiner Frau und seinen 2 Töchtern (eine acht die andere vier Jahre all) in Steyr. Seit dem Friedensvertrag in Dayton und dem “offiziellen” Ende der Kämpfe in seiner Heimat, muß sich auch er mit dem Thema Rückkehr auseinandersetzen. Wie es ihm dabei gehl, versuchte die Grüne Steyrzeitung im nachfolgenden Gespräch zu erkunden: Grüne Steyrzeitung: Mem, wie geht es dir und deiner Familie hier in Steyr? idem: Ja. mir geht es eh gut Natürlich gings mir früher besser, aber was soll es, das ist der Krieg. Ich halt vor dem Krieg eine kleine Firma gehabt, meine Frau auch. Wir haben gut gelebt, halten zwei Häuser. Jetzt ist alles kaputt, verbrannt. Wir müssen wieder von Null anfangen. Grüne Steyrzeitung: Harum bist du weg? Ilas waren die unmittelbaren Umstände deiner Flucht? idem: Meine kleine Tochter war damals zwei Monate alt und meine Frau wollte unbedingt weg mit den Kindern. Die Serben sind plötzlich mit Artillerie auf den Bergen rundherum aufgefahren. Die Spannung in unserer Stadt war ziemlich unerträglich. Die Kinder haben viel geweint, meine Frau und meine Mutier, die inzwischen durch Granaten getötet wurde, haben mich gedrängt, wegzugehen, ich wollte eigentlich bleiben und mit meinen Brüdern kämpfen. Hinzu kam, daß meine Frau keinen Führerschein hatte und mit unserem Baby nicht allein weg wollte. Sie sagte damals zu mir: “Komm jetzt mit und geh meinetwegen nachher wieder zurück”. Fürs Zurückgehen war es dann aber zu spät. Grüne Steyrzeitung: Abgesehen von dieser allgemeinen Bedrohung, gab es für dich einen speziellen bzw. persönlichen Grund zu flüchten? Idem: Die zunehmende Unübersichtlichkeit durch die Bedrohungssituation in unserer Stadt hat mich in den letzten Monaten dazu bewogen, mein Geschäft zuzusperren und zur Polizei zu gehen. Aus Serbien wurden viele Wallen in die Stadt geschmuggelt und die Polizei war der einzige Schutz für die moslemische Bevölkerung, die übrigens 75 % der Gesamteinwohnerzahl ausmachte. Wegen meiner Polizeiangehörigkeit zählte ich zu den besonders gefährdeten Personen. Ich wußte genau, daß ich auf einer Liste stand. Es war sicher kein Zufall, daß mein Haus eines der ersten war. das durch Panzergranaten zerstört wurde,... die wollten mich töten. Grüne Steyrzeitung: Ihr wart zu Hause eine bekannte, geachtete, wohlhabende Familie, Du hast durch diesen Krieg alles verloren bzw. zurücklassen müssen. Ihr seid vor} Jahren mit leeren Händen nach Steyr gekommen. H ie und wovon habt ihr in den letzten Jahren gelebt? idem: Wir haben von Anfang an pro Person 1.500 Schilling im Monat von der Caritas (Unterstützung des Landes OÖ, Anm. d. Red.) bekommen, wir leben also zu viert von 6000 Schilling im Monat. Davon muß ich 2.500 Schilling für die (Substandard) Wohnungzahlen und zusätzlich noch durchschnittlich 1500 Schilling für Betriebskosten, vor allem für die teure Elektroheizung. Grüne Steyrzeitung: Da bleiben 2000 Schilling im Monat, wie kann man mit zwei Kindern mit so wenig Geld in Steyr leben? idem: Schwer, sehr schwer. Besonders der Anfang war sehr schwer. Ich habe kein Wort Deutsch gesprochen, in der Schule habe ich Französisch gelernt. Ich konnte mich kaum verständigen. Es war die schwerste Zeit in meinem ganzen Leben. Ich war sehr viel krank, halte Probleme mit den Nieren. Es war wirklich unheimlich schwer. Grüne Steyrzeitung: H ie ist dieses Gefühl, alles verloren zu haben, arm zu sein,, für einen Menschen, der das alles bisher nicht kannte? Idem: Wie soll ich das sagen. Es ist sehr schwer für mich darüber zu sprechen, es kommt soviel hoch dabei... Es verfolgt mich in der Nacht, in meinen Träumen, es ist wie ein Horror. Am Anfang nur zwei oder drei Stunden Schlaf in der Nacht... es geht nicht, aufwachen,... Zigaretten rauchen... meine Kinder liegen am Boden, meine Frau... kommt, meiner Bruder ist toL.. dann der Schwiegervater... Ich war nervlich am Ende, habe 12 Kilo in sechs Monaten abgenommen. Wir haben in dieser Zeit zuwenig zu essen gehabt, wir lebten nur von Milch und Brot. Kleider hatten wir genug von der Caritas bekommen, Schuhe und warme Socken für die Kinder kauften wir am Floh- markl. Ich hatte kein Geld für einen Rasierapparat.. Ich hab mich geschämt, mein ganzes Selbstwertgefühl war verloren. Dann versuchte ich eine Arbeit zu bekommen, bin zum Arbeitsamt gegangen. Dort sagte man mir: “Nein, jetzt ist es schwierig, kommen sie in zwei Monaten wieder”. Immer wieder die selbe Antwort: warten. warten, warten. Das tue ich bis heute. Grüne Steyrzeitung: Wie geht es dir und deinem Selbstwertgefühl jetzt, bist du trotz dieser Enttäuschungen sicherer geworden? idem: Ja schon, sicherer und stolzer. Stolz vor allem auf meine Familie, meine Heimat, mein Volk. Das ist das einzige, was uns geblieben ist Grüne Steyrzeitung: Gibt es etwas, was dir in dieser Zeit geholfen hat über die Kunden zu kommen? .Idem: ■ Es waren vor allem die Leute vom Inlegrationsprojekt und von der Caritas sowie Kontakte zu anderen Österreichern, die mir in dieser Zeitsehr geholfen haben. Ich habe einen Deutschkurs bei der Volkshilfe gemacht und so relativ schnell die Sprache gelernt. Das war die einzige Möglichkeit weiterzukommen. Grüne Steyrzeitung: Hast du negative Erfahrungen mit Österreichern gemacht? Idem: Kaum, alle Leute, die ich kennenlernte, haben mir geholfen, vor allem mit Möbeln, mit Kleidern... Grüne Steyrzeitung: Wenn du zurückdenkst, worin bestand die wichtigste Hilfe, die du von österreichischer Seite bekommen hast? Idem: Natürlich, jeder braucht zuerst materielle Hilfe, das wichtigste aber kommt von der Seele. Grüne Steyrzeitung: Was meinst du damit? idem: Freundschaft, als Mensch ernst genommen zu werden. Die Leute sollen mich als Menschen und nicht als armen Flüchtling verstehen. Auf gleicher Ebene ernst genommen zu werden, das ist das wichtigste. So möchte ich zum Beispiel trotz der kleinen Wohnung, trotz dem wenigen Geld usw. auch meine österreichischen Freunde einladen, möchte auch elwas geben. Grüne Steyrzeitung: Am 10. Juni läuft deine Aufenthalts- bewilligungaus, offiziell ist der Krieg zu Ende, wiestehst du dazu, wenn du dann zurückgehen mußt. idem: Prinzipiell möchte ich zurück, aber nicht jetzt. Es ist zu früh. Meine Brüder, meine Familie in Bosnien brauchen meine Unterstützung. Trotz des wenigen Geldes, das wir haben, haben wir immer Pakete geschickt. Du mußt dir vorstellen, unten ist alles kaputt, unten gibt es nichts. Mein Bruder, mit dem ich Funkkontakt hatte - in meiner Stadt gibt es seil 5 Jahren kein Telefon, keinen Strom und kein Wasser - hat gesagt, bleibe solange du kannst, so kannst du uns am besten helfen. Meine Geschwister brauchen mich hier im Ausland, ich bin der einzige, der hier ist. Außerdem gibt es keine Arbeit, meine Wohnung ist total kaputt und ich habe auch kein Geld, sie zu reparieren. Zudem leben in meiner Stadl neben den 50.000 regulären Einwohnern ungefähr noch 50.000 Flüchtlinge. Wenn ich sofort zurückkehre, bin ich eine zusätzliche Belastung für meine Familie und für meine Stadl. Grüne Steyrzeitung: Gibt es nicht auch jetzt von Leuten, die geblieben sind, die dort gekämpft haben, die dieses Grauen unmittelbar erlebt haben, Forbehalte gegen Flüchtlinge? idem: Ja, das ist auch ein Problem. Ich bin zwar kein Deserteur, aber wenn ich zurückkomme, wird jeder sagen: Wo warst du die ganze Zeil? Was hast du im Ausland gemacht? Wenn ich sage: “Nichts”, dann werden sie mich fragen: “Wieso bist du jetzt zurückgekommen”. Grüne Steyrzeitung: Das heißt, man erwartet von dir, daß du zumindest Geld mitbringst? Idem: Genau, das ist wichtig. Wenn ich zurückkomme in meinen Staal, muß ich

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