Grüne Bürgerzeitung, Nummer 5, Dezember 1993
~ -..... l.O 55 JAHRE REICHSKRISTALLNACHT VOM GEWENDETEN ANTISEMITISMUS Die Vor- . VIELER STEYRER POLITIKER stellung des Buches „Ver- Steyr ist anders von Erik Heileis Linz, Wels, Salzburg, was haben diese Städte gemeinsam. Sie haben versucht einen Beitrag zu leisten, etwas wiedergut- zumachen, was man eigentlich nicht wi e- dergutmachen kann : Ehemalige jüdi sche Mitbürger wurden eingeladen - eine Geste. Eine Hand wurde den O pfe rn gereicht. Nur Steyr ist anders: Hier glauben sich die Stadtväter drücken zu können, hi er meint man : Ist doch alles chon längs t vorbei, wenn interessiert das no( h! l li er hat man andere Sorgen, momentane, zu- künftige. Jedoch ein bitterer Nac hge- schmack bleibt: Für jede n x-beli ebigen Verein sind erkleckli che Sümmchen da - schließlich sind das ja auch W:il1l er. Hin- gegen Menschen, di e damals fo rt muß- ten, um ihr Leben zu retten, einzul aden, dafür fehlt das Geld in der Stadtkasse. Vielleicht aber fehlt noch etwas ganz an- deres : Die Fähigkeit na hzudenken, was das Wort Anständi gkeit bedeutet ... ♦ -Steyr ist ganz anders Mit Entrüstung und Empörung reagier- ten kürzlich einige Stadtpolitiker, nach dem Willi Nürnberger, Sohn des 1938 ermordeten Steyrer Rabbiners, mit eini- gen ehrlichen Worten das rathäusliche Repräsentationsgetue insWanken brach- te. ,,Unerhörte Frechheit" entfuhr es einem mäßig erfo lgreichen Stadtrat, als der Israeli Nürnberge r di e Trauer darüber ausdrückte, daß das offizielle Steyr den ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen so wenig Anteilnahme zukommen ließ. 55Jahre ist es her, seit in der sogenannten Reichskristallnacht auch in Steyr Juden beschimpft, geschlagen und inhaftiert wurden. Das besondere Weihnachtsgeschenk von bleibendem Wert finden Sie bei Ihrer Kupferschmiede • \<)'1erlfo\l franz ffl'ayt Sierninger Straße 32, 4400 Steyr Telefon & Fax 072 52/612 37 Wir wünschen allen Kunden ein frohes Weihnachtsfest und ein erfolgreiches 1994! gessene Spuren - die Geschichte der Juden in Steyr", eine Gedenk- veranstaltung am jüdischen Fried- hof und der Besuch von neun Juden und Jüdinnen, die 1938 von den Nazis aus Steyr vertrieben wurden, war der feierlich/traurig/ besinnliche Teil des Jahrestages der Reichskristallnacht am 9. November 1993. Die Stadt Steyr sorgte für die Un- verschämtheiten, Peinlichkeiten und den, wie es der Schriftsteller Erich Hackl ausdrückte, ,,gewen- deten Antisemitismus': Für den Bürgermeister war eine „wirkli- che" Einladung dieser Opfer in Steyr po- litisch nicht durchzubringen. So tiefsitzt bei den roten Rathausgranden die Angst vorm feschen Jörg! und seiner „Buberl- partie". Selbst Schlüsselpositionen sozial- demokratischerWeltanschauung werden wie Ballast abgeworfen, weil Vergangen- heitsbewältigung, und Solidarität mit Minderheiten keineWählerstimmen brin- gen. Im Gegenteil, sie verschrecken das rechte Klientel, das dank traditionsrei- cher sozialistischer Machtpolitik uner- schöpflich scheint... Noch schlimmer ist vielleicht das man- gelnde Gespür vieler Stadtverantwort- licher für die Menschen, ihre Wünsche und Sehnsüchte, ihr Leid und ihre Ver- letztheit. Wenn Bürgermeister-Adlatus Zineder die erstmalige Rückkehr der von den Nazis Vertriebenenmit einerUrlaubs- oder Studienreise vergleicht, dann ist das mehr als nur geschmacklos und zeugt nichtgeradevomhohenNiveaudesHerrn Magister. Und wenn dann die Leute rund um das Komitee Mautliausen Aktiv als Falsch- spieler und Unruhestifter denunziert wer- den, dann wird dem letzten klar, welche Opportunisten hier am Werk sind. Man hätte dem Komitee auch für die Gedenk- und Erinnerungsarbeit und für die Einla- dung der ehemaligen SteyrerJuden dan- ken können. Viele ließen sich durch die Begegnung mit den jüdischen Gästen berühren und bewegen - trotz noch so viel Ignoranz und Gefühllosigkeit von welcher Seite auch immer, und sie ließen sich nicht von der Erkenntnis abbringen, daß die Veran- staltungen um den 9. November 1993ne- ben der menschlichen auch eine histori- sche Dimension hatten. ♦ Steyr ist nicht nur anders - es gibt auch: DAS ANDERE STEYR Während die Stadt die 1938 aus Steyr ver- triebene jüdischen Mitbürgerinnen nicht ein- laden wollte, taten dies statt dessen folgende Organsiationen gemeinsam mit einer großen Zahl prominenter und weniger prominenter Privatpersonen: Komitee MauthausenAktiv Steyr,Akade- mikerbund Steyr, Amnesty International Steyr, AKKU, Betriebspastoral Steyr, Frauenstiftung Steyr, Friedensdorfinter- national, Friedenswerkstatt Steyr, GAL Steyr, Grüne Bildungswerkstatt, Institut für angewandte Umwelterziehung, Kath. Akademikerverband und Kath. Arbeit- nehmerbewegung Steyr, Katholische Ju- gend Steyr, Komitee für ein in- und aus- länderfreundliches Steyr, Kulturverein Kraftwerk, KPÖ Steyr, KZ-Verband Steyr, JZ Gewölbe, JZ Resthof, JG der SPÖ Steyr, JVP Steyr, Museum Arbeitswelt, ÖGB Steyr, ÖGJ Steyr, Pfadfinder Steyr, Psychosoziale Beratungsstelle Pro Mente Infirmis Steyr, Zeitgenössisches Kultur- forum Steyr ♦
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