Grüne Bürgerzeitung, Nummer 2, Juni 1992
Am 26. Mai 1992 - rund ein halbes Jahr nach Einführung der Fußgänger- zone Kirchengasse- Gleinker Gasse- Sierninger Straße - wurde im Steyrdo,f wieder ein Informationsabend abgehal- ten. Den zahlreich Erschiene- nen wurde mitgeteilt, daß die Regelungen im wesentlichen bestehen bleiben. Ein E,folg für den Umweltschutz? Die Rettungeines kulturhistorisch wertvollen Stadtteils?DieAus- lieferungdes Steyrdorft an „die Ausländer"?Der Todesstoßfür ein funktionierendes Nahver- sorgungssystem ? Jedenfalls Grund genug für einen vor- ausschauenden Rückblick. Von der naturräumlichen Lage und der historischen Entwicklung ist Steyrdorfein Kleinod, das derAltstadt und dem Wehrgraben um nichts nachsteht. Am Südabhang des Tabor über dem winter- lichen Nebelmeer gelegen, thront es luftig über der Stadt und bietet an klaren Tagen wunderbare Fernblicke auf die Altstadt und die umge- benden Berge vomDamberg bis zum Toten Gebirge. Die in der Grundstruktur aus dem Mittelalter stammende kleingliedrige Bebauung hat mit ihren engen Gäßchen und zahlreichen Plätzen und Platzerln geradezu südländi- schen Charakter. Die tradi- tionelle Nutzungsstruktur dieses weitgehend eigen- ständigen Stadtteils war im- mer durch die Kombination von Wohnen und Kleinge- werbe geprägt. Mit der zunehmenden Vor- herrschaft des motorisierten Individualverkehrs setzte ein langsamer Niedergang die- ses Stadtteils ein. Die engen Gassen waren dem in Steyr- dorfselbst produziertenVer- kehr nicht mehr gewachsen und wurden restlos überfor- dert durch einen beträchtli- chen Durchzugsverkehr. Die Attraktivität als Wohn- und Einkaufsviertel nahm proportional zum Verkehr ab, der Ausländeranteil stieg an. Erst Ende der 90er Jahre entschlossen sich eini- ge engagierte Geschäftsleute und Be- wohner, etwas für ,,,ihr Steyrdorf'' zu tun. Der Verein „Aktives Steyrdorf' hat in den ersten Jahren seines Bestehens schon einiges in die Wege geleitet. Neben Festen und Floh- märkten war der bisher bedeutendste Schritt die Erklärung zur verkehrs- beruhigten Zone im November 1991. Eine Lösung der oben angeführten Probleme ist damit noch lange nicht in Sicht. Das Steyrdorf leidet unter einer mangelnden Professionalität, unter einer fehlenden Zieldefinition der Stadtentwicklung und unter einer sehrhalb- Unterstüt- die Stadt Steyr. Einige Beispiele : herzigen zung durch ♦ Es gibt kein Stadtentwicklungs- konzept, das für Steyrdorf festlegen würde, in welchem Verhältnis und in welcher FormWohnnutzung, Gewer- be, Denkmalschutz in diesem Stadt- teil künftig stehen sollen. ♦ Der Gemeinderat bewilligt aufdem Tabor die Ausweitung eines großen Einkaufsmarktes, der für zahlreiche Geschäfte in Steyrdorf eine über- mächtige Konkurrenz darstellt. ♦ Bis dato gibt es keine be- r!PJ gleitende Beratung für eine ~""'1ii Anpassung der Betriebe, · ~ aber auch der - wie überall - automanischen Bewohner und Geschäftsleute des Steyrdorfs an die geänder- ten Bedingungen. Dem- nächst soll allerdings ein Unternehmensberater be- auftragt werden - womit, ist noch nicht genauer bekannt. ♦ Die Information der Be- wohner über die anstehen- den Veränderungen ist mehr als mangelhaft. Ein derart komplexes Problemmit zwei Informationsabenden anzu- gehen, dieser Ansatz sucht seinesgleichen in Mitteleu- ropa.Nur durch das persön- liche Engagement des neues Verkehrsstadtrates. konnte hier das Schlimmste ver- mieden werden. ♦ Über einen geeigneten Umgang mit dem in Steyr- dorf nun zweifellos beste- henden Ausländerproblem wird noch nicht einmal ernsthaft nachgedacht, über Lamentieren und ausländer- feindliche Äußerungen ist man nichthinausgekommen. So ist es nicht verwunder- lich, daß in SteyrdorfVerun- sicherung, Verfolgung von Einzelinteressen, Angst und persönliche Querelen zwi- schen Geschäftsleuten und Bewohnern weit verbreitet sind. Anstelle einer Auf- bruchstimmung nach dem Motto „Gemeinsammachen wir aus Steyrdorf das, ·was ihm gebührt': herrscht eine resignative Stimmung vor. Es bewahrheitet sich der alte Planungsgrundsatz, nach dem für komplexe Proble- me auch komplexe Lösung- sansätze erforderlich sind. Es ist noch nicht zu spät. Beim Informationsabend am 26. Mai waren Hoffnungsschimmer erkenn- bar, daß das, was eigentlich vor Erlaß der Fußgängerzone erforderlich ge- wesen wäre, wenigstens jetzt im nachhinein geschehen wird. Vorausgesetzt, .es gelingt, die Klüfte zwischen Geschäftsleuten und Be- ~ wohnern wieder zu kitten. ~ BURGERZEITUNG ___ Seite 7
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