Grüne Bürgerzeitung, Nummer 4, Dezember 1990

10 Die einen konstatieren ein „offen- sichtlich überkommenes, russisches Politikverständnis", andere sehen sie wie die SED in ihrer Blütezeit agie- ren: Die Steyrer SPÖ aus dem Blick- winkel kritischer (auch sie gibt es noch) Genossen. Was da in den letzten Wochen in Sachen Volkshilfe so alles bekannt wurde, hat die Eisenstadt-Sozialisten in arge Bedrängnis gebracht. Doch mit alter Bunkermentalität und großer Erfahrung in Sachen „Aus- sitzen" glauben die Steyrer Polit- Macher auch diesmal wieder durch- zukommen. Fragt sich nur, wie lange das die Steyrer Wähler noch akzeptieren werden? Hier geht es nicht mehr um das Auflisten von mehr oder weniger haarsträuben- den Vorfällen in einem Skandal, in dem seit den 70er Jahren - wenn man den übereinstimmenden Medienberichten glauben darf - immerhin 2,5 Millio- nen Schilling an Subventio- nen und Spenden miß- bräuchlich verwendet wur- den. Oder haben sie damit gerechnet daß abgesehen von den 40% (!) für die Sammler ihre Sp':!_nde letztlich beim SPO-Pension- istenverband, den SPÖ- Kinderfreunden, bei irgend- einem SPÖ-Sportverein oder gar beim Mando- linenorchester Arion landet? Schließlich ist dieser Skandal doch nur ein Ausdruck eines Systems der Machtverfilzung und dessen Erhaltung um jeden Preis, in dem die agierenden Perso- nen schon längst den Uberblick über das Ganze, aber auch den Bezug zur gesellschaftlichen Realität verloren haben. ,,Steyrischer Brauch" nennen es die Medien - was soviel heißt wie: „Ohne Partei ist man nichts - ohne Partei kriegt man nichts"; keine Wohnung, keine Arbeit, keine (Volks)Hilfe, wenn man in Not gerät. " Mir san mir" Beispiel: Steyr-Daimler-Puch AG: Durch Jahrzehnte hindurch hat dieser Betrieb die Stadt geprägt und die Partei diesen Betrieb. Aus dem Betrieb kamen und kommen die Politiker dieser Stadt. Diese unheilige ctnnerladen M Mühleder Allianz der Macht im Betrieb und der Macht in der Stadt hat für viele Steyrer ein hohes Maß ein Abhängig- keit bedeutet - wohl oder übel auch ein hohes Maß an (notwendiger) Anpassung. Diese Machtkombination bzw. Machtkonzentration hat nicht nur das geistige und kulturelle Klima dieser Stadt geprägt, sondern auch das politische und das wirtschaftliche. Es war ein Klima der Konformität und der Enge im Gegensatz zu Offenheit und Vielfalt. Die sozialistische Bewegung in Steyr hat aufgehört sich zu bewegen. Ging es am Anfang um die Befreiung aus der Abhängigkeit, so geht es jetzt in erster Linie um die Erhaltung der Macht. Es ist diese „Mir san mir"-Mentalität der Steyrer SPÖ, und die Palette reicht vom trotzigen Einigeln bis zur präpotenten Selbstüberschätzung. Beispiele dafür bietet nicht nur der Volkshilfe-Skandal, sondern die politische Praxis der letzten Jahre insgesamt in Hülle und Fülle. Daraus resultiert natürlich ein hohes Maß an Provinzialismus, manchmal sogar auch Isolation, der (die) ausgehend von den Machtha- bern und ihren Entscheidungen in der Stadt seinen (ihren) Niederschlag findet. Wirtschaft, Verkehr, Umwelt, Kultur, Lässige Mode für Ihn von Otto Kern, Einhorn, Tessltore, Checker, Vice, Habella, Glrbaud Ewald Mühleder / Steyr, Fabrikstraße 42 / 0 72 52/62 6 48 Soziales, Fremdenverkehr - in allen Bereichen sitzt das Virus. In allen Bereichen arbeiten aber auch viele Gruppen, Initiativen und Einzel- personen an Gegenmodellen. Sie alle leiden natürlich an der Starrheit, teilweise am Widerstand des Systems, aber Erfolge sind unverkennbar. „Ziehsöhne des Systems" Natürlich tauchen immer wieder die Fragen auf: ,,Gibt es für diese kritische Basis' auch Verblindete in den politi- schen Parteien, speziell in der SPÖ? Wo ist die kritische Jugend? Wo ist die , andere' Politiker- generation?" Nirdendwo anders ist es so schwer, die zu finden als in Steyr. Was z.B. in Linz mit einem Dobusch, einem Ackerl längst passiert ist, erscheint in Steyr undenkbar. Ist Leuten wie einem Leithenmayr, einem Zagler oder Klausberg~r das „neue Denken", das O:ffnen der Partei für Neues, Fremdes, Kontroversielles zuzu- trauen? Ist es ihnen wirklich mög- lich - im Interesse der Entwicklung dieser Stadt - neue Formen der Zusam- menarbeit mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern zu finden? Man muß ihnen wirklich eine Chance geben, aber verfolgt man deren Äußerungen in der letzten Zeit, ist Skepsis mehr als angebracht. Sie sind in diesen Strukturen „groß" geworden, und am Volkshilfe-Skandal hat sich gezeigt, daß sie dieses System - dessen ,,Ziehsöhne" sie eigentlich sind - auch noch verteidigen. Dazu kommt diese fatale familiäre Verflechtung innerhalb der Steyrer Genossen. Familiäre Bande erschwe- ren natürlich wirkliche Kritik, und ohne die scheint jede Veränderung unmöglich. Noch einmal zurück zur „Volkshilfe". Jetzt nur den Rücktritt aller Verant- wortlichen für diese „Vorgänge" zu fordern, ist unserer Ansicht nach zuwenig. Obwohl wir diesen Schritt, den Reichl als einziger getan hat, auch bei anderen GenosseI1 - eben aus einem persönlichen Verantwortungs- gefühl heraus - erwartet hätten und immer noch erwarten. Es muß mehr Transparenz, mehr Offenheit in allen Entscheidungsebenen geben. Es muß ein radikaler Demokratisierungschub mit mehr Mitsprache für Betroffene und Interessierte eingeleitet werden.

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