Grüne Bürgerzeitung, Nummer 2, Juli 1989
9 GAL: Wann kamen Sie zurück nach Steyr? E.: Im April 1947 wurde ich aus der Armee entlassen und im Oktober 1947 kam ich zurück nach Steyr. GAL: Wie wurden Sie in Steyr empfan- gen? E.: Als ich am 17. 10. 1947 nach Steyr kam, war unser Haus voll von Mietern. Einige Leute lebten schon vorher hier, die restlichen wurden vom damaligen NS-Bürgermeister eingewiesen. Darun- ter war eine "schwerbelastete" Familie. Mir gelang es dann, vom Magistrat eine Wohnungszuweisung zu bekommen. Ein Raum wurde mir für mich, meine Frau und meine 6 Monate alte Tochter zugestanden. Als ich dann wieder in mein Haus ziehen wollte, holte die schwerbelastete Familie, die den einen Raum abtreten mußte, einen Polizisten, um mir den Zutritt zu verweigern. Die- ser Polizist war ein ehemaliger Schul- kollege von mir. Er lebt noch, er kann das bezeugen. Das ist natürlich ein Empfang, den man sich merkt, den man nicht vergißt, und das ist schrecklich, denn in der inneren Einstellung der Menschen kann sich nichts geändert haben, wenn sie einen dann noch ablehnen, obwohl sie wissen, daß sie zu Unrecht herinnen sitzen. GAL: Wie wurden Sie von offizieller Seite, vom Magistrat, empfangen? E.: Der damalige Vizebürgermeister sagte zu mir, als ich wegen der Woh- nung kam: "Na, was stellen Sie sich denn vor? Warum kommen denn die Reichen nicht zurück?" Ein Heimkehrer, auch wenn er ein schwerbelasteter NS-Mann war, wurde besser empfangen als wir. GAL: Wie kamen Sie wieder in den Be- sitz Ihres Hauses? E.: Das hat sich lange hingezogen, weil es als deutsches Eigentum deklariert wurde. Es wurde erst Anfang der Sech- ziger Jahre über die Finanzprokuratur zurückgestellt. Ich mußte sämtliche Ko- sten, ca. S 32.000,-- (Schätzungskosten, Anreisekosten, Verwaltungsgebühren), die der Finanzprokuratur aufgelaufen sind, vor der Rückgabe bezahlen. Dazu mußte ich extra ein offizielles, zinsenlo- ses Darlehen beim Bundesministerium für soziale Verwaltung aufnehmen, um alles bezahlen zu können. Erst dann erfolgte die Rückstellung mit allen Leuten, die hier gewohnt haben. GAL: Lebten Sie damals auch in Ihrem Haus? E.: Ja, ich lebte als Subverwalter, sozu- sagen geduldet, hier. Der Verwalter war GRÜNE BÜRGER-ZEITUNG Ehemalige jüdische Geschäfte ( Museum der Stadt Steyr) die Finanzlandesdirektion als Nachfol- ger des deutschen Reiches. Der Rück- stellungsantrag, den ich sofort stellte, wurde nicht erledigt, erst 1961. Es war alles sehr kompliziert. GAL: Wie verhielten sich die übrigen Bewohner? E.: Die haben nie den Mut aufgebracht, über die Vergangenheit zu sprechen. Ich wurde als Eindringling empfunden. Ich war geduldet, wurde aber gemieden. GAL: Welche Erfahrungen machten Sie mit Ihren Bekannten und den übrigen Mitbürgern, als Sie wiederkehrten? E.: Nur sehr wenige, 2 oder 3 Schulkol- legen sind zu mir gekommen und haben gesagt: "Das war schrecklich, sind wir froh, daß es vorüber ist." Die meisten waren in der Wehrmacht aktiv einge- rückt und sind zum Teil als Kriegsver- sehrte wieder nach Hause gekommen. Eine große Anzahl von meinen ehema- ligen Schulkollegen ist gefallen, das sind die Jahrgänge, die 1938/39 eingerückt sind, zum Polenfeldzug, nach Rußland, usw. und nicht mehr zurückgekommen sind. Einige sind wieder aus Steyr abge- wandert. Viele Leute, die mich und meine Familie von früher gekannt ha- ben, haben lange Jahre versucht, wegzu- schauen, einem nicht zu begegnen. Sie wollten weder grüßen, noch begrüßt werden; GAL: Wie erklären Sie sich das? E.: Schuldgefühle. Ein gewisses inneres Schuldgefühl, obwohl diese Leute viel- leicht aktiv gar nichts getan haben, aber 7/89 bekennen, das wollen sie nicht. Nicht zu sagen: "Ja, wir war~n verleitet" oder "Die Situation hat sich so ergeben", son- dern die Wahrheit, das liegt den wenig- sten. Es gab sehr wenige, die gesagt ha- ben: "Wir sind mißbraucht worden." Das hat mir vor kurzem erst einer gesagt. Der war HJ-Führer. Das war einer, der nach dem Krieg viel mit Juden zu tun gehabt hat. Er war in Wien und ist jetzt in der Pension wieder in Steyr. Ich weiß nicht, ob es ehrlich gemeint war, aber ich glaube es ihm. GAL: Gibt es ehemalige Nazis, zu denen Sie jetzt einen guten Kontakt haben? E.: Nein, die gibt es nicht. Das liegt si- cher auch an mir, daß ich die Leute, von denen ich es 100%.g weiß, meide. In Geschäfte, wo ich gewußt habe, daß sie Nazis waren, bin ich nie mehr reinge- gangen und ich würde auch nie reinge- hen, z.B. in die Buchhandlung am Mi- chaelerplatz, da kriegen Sie die Natio- nalzeitung und andere Zeitschriften die- ser Richtung, die in Deutschland und Österreich erscheinen. GAL: Haben Sie sich nach dem Krieg politisch engagiert? E.: Ja, ich war bei den Linkssozialisten. Das war die neugegründete Partei von Erwin Scharf, die z.T. wegen antisozial- demokratischer Betätigung aus der So- zialistischen Partei ausgeschlossen wurde. Da war ich aktiv, solange die Partei existiert hat, bis die Sache mit der Tschechoslowakei war. Ich war dann Mitglied bei der Kommunistischen Partei, nachdem sich unsere Partei auf- gelöst hat, bzw. in die KP integriert worden ist. Ich war aktiv, bis ich gese- hen habe, daß da was schiefläuft. Un- garn 1956 gab mir schon zu denken, aber was dann 1968 in der CSSR ge- schah, das war ganz arg. Da hab ich dann gesagt: "Schluß jetzt!" und bin offi- ziell aus der Partei ausgetreten. GAL: War Ihre Zuwendung zu dieser Partei eine Reaktion darauf, was Sie er- litten haben? E.: Ja, ich habe geglaubt, daß man mehr anerkannt wird, daß man zur Mitarbeit bewogen wird. GAL: Wie ist Ihr Verhältnis zum KZ- Verband? E.: Der Antisemitismus ist überall latent vorhanden, selbst bei Leuten, die gelit- ten haben, die mit Juden in KZs zu- sammen waren. Die waren durch ihre Familien verquickt mit früheren Natio- nalsozialisten. Es gibt jetzt 3 Verbände, den KZ-Verband, den Sozialistischen Freiheitskämpferverband und den von
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