Grüne Bürgerzeitung, Nummer 2, Juli 1989

8 GRÜNE BÜRGER-ZEITUNG 7/89 Interview 2. Teil: "RÜCKKEHR UNERWÜNSCHT.n Wir bringen nun den 2. Teil des Interviews mit dem letzten noch lebenden Steyrer Juden, Herrn EHRLICH (der Name wurde von der Redaktion geändert). Das Gespräch mit Herrn Ehrlich führten Waltraud und Georg Neuhauser. Wie im 1. Teil des Interviews berichtet, mußten die Eltern und Geschwister von Herrn Ehrlich Steyr verlassen, zwei seiner Ge- schwister konnten mit einem illegalen Transport in Richtung Palästina entkommen. Der Vater wurde 1939 mit einem der ersten Transporte nach Polen deportiert und dort ermordet. Die Mutter wurde 1942 mit zwei Kindern ebenfalls nach Polen (Minsk) deportiert und getötet. Herr Ehrlich floh 1938 in die CSSR, nach Südböhmen zu Verwandten. GAL: Was geschah mit Ihnen in dieser Zeit? E.: Wie ich schon früher sagte, hielt ich mich .im böhmischen Budweis bei mei- nen Verwandten auf, hatte keine Pro- bleme. Ich war im Büro meines Onkels beschäftigt. Am 5. März 1939, dem Tag des Einmar- sches der deutschen Truppen in Bud- weis, befand ich mich in einem Cafe- Haus in der Nähe des Hauptplatzes der Stadt'. Es war ein bekannter Treffpunkt jüdischer Emigranten. Dort nahm ich an einem Sprachkurs für Englisch teil. Um ca. 14.30 Uhr stürmten einige SS-Leute ins Lokal, besetzten den Eingang. Die Anwesenden mußten sich ausweisen. Es waren ungefähr 20 Personen, lauter Emigranten. Draußen vor dem Eingang stand der Überfallswagen. Wir wurden aufgefordert, den Wagen zu besteigen und los ging es ins Gestapo-Hauptquar- tier. Dort sagte man uns, wir wären in Schutzhaft. Einige Tage später ließ man uns wieder frei. Bis zum Ausbruch des Krieges war ich dann in Prag, bei ande- ren Verwandten. Während meines Pra- ger Aufenthaltes war ich bemüht, auch aus der CSSR herauszukommen. Das war nicht leicht. Über verschiedene Be- ziehungen gelang es mir, zu einem ille- galen Transport Richtung Palästina an- genommen zu werden. Voraussetzung war, daß mir die Zentralstelle für jüdi- sche Auswanderung die Zustimmung erteilte. Das war im Oktober 1939. Da- mals wurde Eichmann von Wien nach Prag versetzt mit dem Auftrag, diese Stelle zu leiten. Diese Zentralstelle war in einer enteigneten jüdischen Villa ein- gerichtet. Um die Wahrheit zu sagen, ich hatte große Angst. Die Ausreisewil- ligen, die sich vor der Villa in Reihen anstellen mußten, erzählten, daß es nur von der Laune Eichmanns abhinge, die Ausreisegenehmigung zu bekommen. Als ich an die Reihe kam, wurde ich von zwei SS-Leuten vorgeführt. Eichmann stellte mir daru-, in schroffer Form einige Fragen, die ich beantwortete, drückte den Stempel auf das Ausreiseformular, und ich konnte aufatmen. Am 26. November 1939 war es dann so- weit. Mit nichts als einem kleinen Koffer in der Hand bestieg ich den Zug in Richtung Bratislava. GAL: Was erlebten Sie auf dem Trans- port in Richtung Palästina? E.: In Bratislava wurdeu lfir unter Auf- sicht der Hlinka Gardisten ·, das waren slowakische Polizisten, die mit der SS kollaborierten) in eine große Halle ge- führt. Von dort aus ging es dann noch im Morgengrauen zum Donauhafen. Ein rumänischer Kohlenschlepper, der unter Deck zu einem Transportschiff ausgebaut war, erwartete uns. Es gab Stockbetten, auf jedem Bett lag eine Decke, es gab keine Heizung. Der Winter hatte bereits eingesetzt, und es war sehr kalt. Mit diesem Schiff ging es dann los bis Sulina in Rumänien. Diese Reise dauerte ca. 3 Wochen. Im Hafen von Sulina lagen schon einige Donau- Ehemaliges jüdisches Geschäft in Steyr ( Museum der Stadt Steyr) schiffe mit Emigranten vor Anker, z.B. die Uranus, Saturnus, Grein, Orel I, II. Alle warteten auf die Ankunft eines größeren Schiffes, das die Leute, ca. 2000 Menschen, weiterbefördern sollte. Alle diese Transporte wurden von jüdi- schen Organisationen zur Gänze bezahlt und von der Gestapo genehmigt. Auch den Rücktransport der Schiffe bezahlten diese Organisationen, obwohl die Deut- schen diese Gelegenheit nützten, um mit diesen Schiffen Volksdeutsche aus Ru- mänien und anderen Donau-Anrainer- Staaten heim ins Reich zu führen. Lange mußten wir warten. Es war inzwi- schen Ende Dezember 1939. Die Schiffe waren bereits eingefroren. Da kam das langersehnte Hochseeschiff, es führte den Namen Sakaria, ein türkisches Schiff. Auf diesem Schiff wurden alle 200 Menschen untergebracht. Es ging dann weiter nach Zunguldak in der Tür- kei. Auch dort lagen wir einige Tage vor dem Hafen. Dann ging es durch die Dardanellen, wo uns bereits ein briti- sches Schiff erwartete, welches uns dann bis zur 3-Meilen-Zone vor den Hafen Haifa in Palästina brachte. Die Briten hatten den Auftrag, uns nicht landen zu lassen und bewachten das Flüchtlings- schiff Tag und Nacht. Sie hatten die Ab- sicht, uns nach Mauritius oder Shanghai weiterzubefördern. Trotzdem gelang es einer auf dem Schiff befindlichen Gruppe junger organisierter Leute, Pe- troleum an Deck anzuzünden und die Latrinen sowie die aufgebaute Küche in Brand zu setzen. Daraufhin hat man uns bei Nacht und Nebel in das Internie- rungslager Atlith südlich von Haifa ge- bracht. Dort waren wir bis Mitte Au- gust. Nach einem tagelangen Hunger- streik erklärten sich die Mandatsbehör- den bereit, die Leute freizulassen. Dann meldete ich mich zum britischen Militär. Nach meiner Grundausbildung kam ich mit meiner Einheit in Nor- dafrika, Malta und Italien zum Einsatz.

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