Grüne Bürgerzeitung, Nummer 2, Juli 1989

10 der ÖVP.Schon 1948/49 war das so. GAL: Es wurde sehr viel über die Ar- beiterbewegung in Steyr geschrieben, aber nicht einmal die KP hat über die Geschichte der Steyrer .Juden geschrie- ben. Wie erklären Sie sich das? E.: Sie wollten das gar nicht, sie wollten auch in ihrer Partei Leute integrieren und haben sie auch integriert, die vorher anderen viel Leid zugefügt haben. Frü- her aktive Nationalsozialisten sind ohne weiteres aufgenommen worden. GAL: Was könnte getan werden? E.: Irgendwie muß man einen Tren- nungsstrich machen, meiner Meinung nach. Das alles ist geschehen, aber man muß versuchen, alles zu tun, daß das nicht wieder entsteht. Und das tut man nicht, man tut gerade das Gegenteil. Man toleriert den Burger, man toleriert die Naziumtriebe, die ja offensichtlich sind. GAL: Was wäre für Sie eine Möglichkeit der Versöhnung? Was könnte von offi- zieller ·seite, von der Stadt aus, gemacht werden? E.: Was gemacht werden müßte, schon längst hätte geschehen sollen, das wären Gedenktafeln für die, die vernichtet wurden, die jüdischen Steyrer Bürgerin- nen und Bürger, die seit 100 Jahren und länger in Steyr gelebt haben. Das hätte als erstes geschehen sollen. Und sonst? Eine Einladung an die heute noch le- benden, damals vertriebenen Juden wäre sehr schön. GAL: Herr Ehrlich, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. In eigener Sache: Für die Broschüre ''Juden in Steyr'~ die in Bearbeitung ist, werden noch Dokumente, Fotos, Erinnerungsstücke, Zeitungen, Steyrer Kalender, etc. gesucht. Bitte melden bei: Waltraud Neuhauser-Pfeiffer Gugerlehnerstr. 31 4400Steyr Tel. 237724 GRÜNE BÜRGER-ZEITUNG 7/89 Skandalöse Berichterstattung: SYMPATD IE FÜR DIE APAR"fHEID Ende April / Anfang Mai veranstaltete der Steyrer Arbeitskreis Südafrika zwei Vorträge und einen Informationstag in der Steyrer Fußgängerzone über die Situa- tion im siidlichen Afrika. Es ging dabei darum, iiber die Unterdrückung der schwarzen Mehrheit durch eine weiße Minderheit in Südafrika (Apartheid) zu in- formieren und zu einem Boykott südafrikanischerWaren aufzurufen. Nachdem zuerst die Steyrer Medien durchaus sachlich-neutral über die Aktivitäten des Südafrika-Arbeitskreises berichteten, setzte die Gegenpropaganda alsbald ein. Zuerst erschien in der Steyrer-Zeitung ein Leserbrief ( eines Herrn, der bereits beim Vortrag " Namibia zwischen Un- terdrückung und Unabhängigkeit" durch Beschimpfung der Veranstalter und des Referenten aufgefallen ist ), in dem der Arbeitskreis Südafrika " abenteuerlicher Propaganda " bezichtigt und die Mit- glieder als "Idioten" beschimpft wurden. Dann war allerdings dieses Thema auch der Steyrer-Zeitung einen Leitartikel wert. Auf äußerst unfaire Weise wurde hier von angeblich bewußt falsch infor- mierenden " Agitatoren " gesprochen, die den armen, unmündigen Konsu- menten auf eine anscheinend ausge- sprochen hinterhältige Art Unterschrif- ten zum Südafrika Boykott entlockt hätten. Der Verfasser informiert weiter über die seiner Ansicht nach kaum mehr exi- stierende Apartheid und wartet mit In- formationen auf, die - eigenen Angaben zufolge - einer Artikelserie der Kronen- zeitung (!) und den Aussendungen des südafrikanischen Pressedienstes ent- nommen wurden. Soweit zur Objektivi- tät des Berichtes ! Da der Verfasser des Artikels das Land bereist hat und seine Eindrücke ( über- raschenderweise ? ) in den Aussendun- gen des Pressedienstes, des Propagan- daorganes der südafrikanischen Bot- schaft, bestätigt findet, spricht er den - nicht in Südafrika gewesenen - "Agitato- ren" das Recht, über ihre Sicht der Vor- gänge zu informieren, ab. Ohne den direkten Vergleich ziehen zu wollen: Darf nur, wer im Konzentrati- onslager gewesen ist, dagegen auftreten und darüber informieren? Der Umkehr- schluß, daß, wer ein Land bereist hat, mit der Wahrheit darüber aufwarten könne, hinkt gewaltig, handelt es sich bei dem weitaus größten Teil dieser Reisen um zeitlich kurz begrenzte Tou- ristenarrangements. Die Besucher wer- den in nahezu jedem Land mit ordent- lich restaurierten staatlichen " Imagefas- saden " konfrontiert, die wahren Le- bensbedingungen der Bevölkerungs- mehrheit bleiben zumeist verschlossen. Natürlich sind persönliche Erfahrungen und Eindrücke ernstzunehmen, aber eben als subjektiv erlebte Wirklichkeit, nicht als allgemein verbindliche Tatsa- chen! Große Besorgnis befällt den Verfasser beim Gedanken, wie sich der Boykott südafrikanischer Waren auf die schwarze ( weitgehend arme ) Bevölke- rungsmehrheit auswirken würde. Inter- essant, daß Mitleid immer dann auf- kommt, wenn die Solidarität unserer Luxusgesellschaft dazu " ausarten " sollte, auf südafrikanische Produkte zu verzichten. Bedeutende Vertreter einer gewaltlosen Bewegung zur Gleichberechtigung AL- LER Südafrikaner ( wie die südafrikani- sche katholische Bischofskonferenz und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu ) fordern den Boykott und begrün- den ihn wie folgt: Der Boykott und die damit ausgedrückte Solidarität der Menschen im Ausland macht uns zwar kurzfristig noch ärmer,aber langfrist;g gibt es uns Hoffnung auf eine gewal~- freie Änderung der Zustände in unse- rem Land. Ihre Stimmen werden ge- flißentlich überhört. Es ist eben zu schön, sich zum Lehrmeister über an- dere aufschwingen zu können. Daß der Boykott zu einer Veränderung der Situation in Südafrika beiträgt, zeigt die Tatsache, daß die Regierung ( wie die letzten Aussagen Außenminister Bothas über ein mögliches Ende der Apartheidpolitik beweisen ) krampfhaft bemüht ist, ihr Image in der westlichen Welt zu verbessern. Da auf die Aussagen der Steyrer-Zei- tung zum Thema Südafrika eine Reihe von Leserbriefen bei der Redaktion einlangten, erteilt sie uns im nachhinein noch eine Lektion in Objektivität, De- mokratie und Toleranz. Bis zum 31.5. wurde kein einziger der Proteste gegen diese Art der Berichterstattung veröf- fentlicht!

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