Grüne Bürgerzeitung, Nummer 1, April 1989

14/89 men dürfte, da es in den Statuten des Vereins den Arierparagraphen gäbe . GAL: Wußten die Kameraden, wer Jude war? E: Natürlich wußten sie es. In so einer kleinen Stadt wußte fast jeder von je– dem. Außerdem waren viele Lehrer, so– wie die Eltern der Mitschüler, auch Mit– schüler meines Vaters , und so wurden sie bereits im Elternhaus darauf auf– merksam gemacht. GAL: Waren Sie sich der Bedrohung bewußt? E: Ja , schon in den 30er Jahren·, in der Systemzeit, haben die illegalen Natio– nalsozialisten ihre Zellen aufgebaut (z. B. ,in der Gleinkergasse und in der Schuhbodengasse). Schulkollegen lu– den mich einmal ein, mir so ein Lokal anzusehen . Es waren kahle Gewölbe in den Hinterhöfen . In den. Räumen be– fanden sich Hakenkreuzfahnen und Wimpeln, ein paar Stühle und ein Tisch, die Rückwand zierte ein Hitlerbild in Lebensgröße. Nach diesem Besuch machte ich mir schon Ge– danken , wie das weiterge– hen wird , denn man konnte schon ahnen, was auf An– dersdenkende und beson– ders auf uns Juden zukom– men wird. GRÜNE BÜRGER-ZEITUNG Verwandte in Südböhmen zu erreichen, was mir auch gelang. GAL: Was bewog Sie, so schnell zu rea– gieren? E: Erstens sah ich für uns keine Zu– kunft. Es konnte nur mehr schlimmer kommen. Außerdem war es nur eine Frage der Zeit , bis die Weisung kom– men mußte, alle jüdischen Geschäfte und Betriebe , soweit sie nicht arisiert würden, zu schließen . Die Folge waren Einkommensverlust, sowie überhaupt der Verlust der Lebensgrundlage. Dar– überhinaus hätte es für mich auch noch andere Probleme geben können. Ich hatte Bekannte , auch Mädchen. Es hätte natürlich der Fall eintreten kön– nen , daß mich irgendjemand denunziert wegen Rassenschande. GAL: Sind Steyrer Juden damals emi– griert? E: Ja , einige sind im Laufe des Jahres 1938 fort. Vorbedingung war, daß man in erster.Ljnie über größere Bargeldbe- Meine ältere Schwester und mein um 3 Jahre jüngerer Bruder, er war gerade 14 Jahre alt , reisten donauabwärts mit ei– nem illegalen Transport Richtung Palä– stina. Auch meine Eltern verließen Steyr in Richtung Wien und mit ihnen auch die noch jüngeren zwei Geschwi– ster. GAL: Hatten Sie zu dieser Zeit Kon– takt zu Ihrer Familie? E: Ja, während meines Aufenthaltes in der CSSR hatte ich ständigen briefli– chen Kontakt mit meinen Eltern. Mein Vater war in der Folge mehrmals in Haft, wurde aber immer wieder frei– gelassen, vermutlich wegen seiner Aus– zeichnungen aus dem 1. Weltkrieg. Er war dann bis zum 18. November 1938 frei . Mit diesem Datum wurde er mit ei– nem der ersten Transporte nach Polen deportiert. Damals versprach man den Leuten, sie könnten dort arbeiten und später die .... Familien nachkommen las– sen. Viele glaubten, was man ihnen versprach. Wie man heute weiß, waren das Adolf Eichmanns Ideen, der damals bereits die Zen– tralstelle in Wien leitete. GAL: Schenkte Ihr Vater den Versprechungen Glau– ben? E: Ja. Ich habe damals mit meinem Vater telefonisch gesprochen, er war noch sehr zuversichtlich! Das war der letzte Kontakt mit meinem Vater. Er wurde mit dem Jahref 1949 für tot Im Sommer 1937 war ich 4 Wochen in einem Sommer– lager in Gschwandt am Wolfgangsee. Es waren ca. 100 jüdische Jugendliche aus ganz Österreich dort. Der damalige österreichi– sche Bundeskanzler Dr. Kurt Schuschnigg, der sei~ nen Urlaub in St. Gilgen verbrachte, stattete diesem Ehemalige jiidische Geschü{te in Steyr (Museum d. Studt Steyr. XV/591:13/63) erklärt, und zwar mit dem letzten Aufenthalt in Po- Lager ein_en offiziellen Besuch ab. Von diesem Lager aus machten wir Ausflüge in die Umgebung, unter anderem auch nach Bad Ischl, St. Wolfgang u.s.w. Überall trafen wir halbuniformierte HJ– Gruppen an. Sie zogen singend durch die Straßen, sangen Nazi-Lieder, die zum Teil eindeutig gegen Juden gerich– tet waren. Keine Polizei war zu sehen, niemand schritt ein. GAL: Wie reagierten Sie auf den An– schluß? E: So, wie die Situation war, hatten wir ja gar keine Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen. Alles war von Seiten der Nazis bestens vorbereitet. Man hat die Volksabstimmung und deren'Polgen bereits vorausgesehen. Jeder, auch ich als Jugendlicher, mußte daraus Schlüsse ziehen. So war ich g1eich bereit, Öster– reich zu verlassen, mit dem Ziel vorerst, träge verfügte, um die Reichsfluch– steuer erlegen zu können. Dann erst be– kam man, wenn überhaupt, die notwen– digen Ausreisepapiere. Das ging alles · über die von der Gestapo geleiteten zentralen Auswanderungsstelle in Wien. GAL: Was geschah mit Ihren Eltern und Geschwistern zur Zeit des An– schlusses und danach? E: Vorerst mußten meine Eltern und Geschwister hierbleiben, sie hatten keine andere Möglichkeit. Sie verfügten zu dieser Zeit über keine größeren Bar– geldsummen. Die Geschäftskonten wurden gesperrt. Reisepässe, die siebe– antragt haben, wurden ihnen nicht aus- -gefolgt, obwohl diese bereits ausgestellt und unterfertigt waren . Später _mußten sie auch noch Schutzhaft über sich erge– hen lassen. Vieles erfuhr ich erst nach meiner Rückkehr Ende 1947. len, in Nisko , einer kleinen Stadt in der Nähe von Lemberg. Meine Mutter, die noch in Wien war, wurde 1942 mit den beiden Kindern, die ihr verblieben waren, nach Minsk in Po– len deportiert und mit ihnen zu Tode ge– bracht. Über die Umstände ihres Le– bens bis zu ihrem Tod weiß ich nichts. Sie korrespondierte unter Decknamen mit einer ihr gut bekannten Steyrer Fa– milie. die aber bereits gestorben ist. Ehemaliges israelisches Bethaus (Museum der Stadt Steyr, XV-212)

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