Grüne Bürgerzeitung, Nummer 1, April 1989

Betrifft: JUDEN IN STEYR Vers_chwunden - vergessen - verdrängt Die Redaktion der GAL-Zeitung dankt für die zahlreichen Reaktionen auf o. a. Artikel in der letzten Nummer der Grü– nen Bürgerzeitung (Nr. 4, Dez. 1988). Ergänzungen und Korrekturen wurden dankbar entgegengenommen. Einige Anfragen betrafen das Schicksal ehemali– ger Schulkollegen, deren jetzige Adresse ausfindig gemacht werden konnte. Um Entschuldigung bitten wir für die Druck- u. Satzfehler, die sich leider in diesem Artikel eingeschlichen haben. Die GAL Steyr brachte in der Gemein– deratssitzung vom 31. 1. 89, in der aktuel– len Stunde folgende Forderungen zur Sprache: • die Anbringung von Gedenktafeln an der ehemaligen Synagoge, Bahnhof– straße 5 (heute: DM-Drogeriemarkt) , sowie am Eingang zum jüdischen Friedhof • die Übernahme der Betreuung des Jü– dischen Friedhofes (zur Zeit von der is– raelitischen Kultusgemeinde Linz wahrgenommen) unter evt. Beteili– gung von Jugendgruppen , Jugendla– gern etc. • eine Einladung·an alle noch lebenden, 1938 in Steyr wohnhaften jüdischen Mitbürger Diese Forderungen wurden vom Ge– meinderat wohlwollend zur Kenntnis ge– nommen, und ihre Durchfürhung ist be– reits geplant. Die Gruppe „MAUTHAUSEN AK– TIV" - Bezirk Steyr, eine überparteili– che Organisation, die sich mit der Aufar– beitung der NS-Zeit und mit neofaschisti– schen Tendenzen auseinandersetzt, be– schäftigt sich mit der Verwirklichung die– ser Vorhaben und ist darüber mit dem Magistrat Steyr im Gespräch. In Bearbeitung ist eine Broschüre über „Juden in Steyr" (Verfasser: Waltraud Neuhauser, Karl Ramsmaier), die von den Anfängen der jüdischen Ansiedlung im Mittelalter bis heute einen Einblick in die Geschichte und das Schicksal der,Ju– den in Steyr geben will. Da deren Ver– wirklichung umfangreiche und zeitrau– bende Arbeiten (Archivarbeit, Gesprä– che mit Zeitzeugen, etc.) erfordert, bit– ten die Verfasser um Mitarbeit der Lese– rinnen und Leser und ersuchen um Bild– material (Fotos) , Zeitungsausschnitte, Briefe, Dokumente, Erinnerungen, etc., die zum Thema Bezug haben. Kontaktadresse: Waltraud Neuhauser– Pfeiffer, Gugerlehnerstr. 31 , 4400 Steyr. Tel.: 07252/237724 GRÜNE BÜRGER-ZEITUNG 4/891 ,,An Juden verkaufe . h . ht ' ' J C nJ C S • • • - ein Interview - Wie in der vorigen Nummer der Grünen Bürgerzeitung angekündigt, bringen wir nun den 1. Teil des Interviews mit dem letzten jüdischen Überlebenden in Steyr. Das Gespräch mit Herrn EHRLICH ( der Name }Vurde von der Redaktion geändert) führten Waltraud und Georg NEUHAUSER. . GAL: Herr Ehrlich , Sie sind der einzige Nachkomme jüdischer Eltern, der in Steyr nach dem 2. Weltkrieg noch an– sässig ist. Würden Sie sich heute als jüdisch be– zeichnen? E: Ja , natürlich, ich bin 1921 als Sohn jüdischer Eltern in Steyr geboren und habe mein Glaubensbekenntnis nie in Frage gestellt. Auch nicht 1946, als ich meine Frau kennenlernte, die römisch– katholisch ist. Wir erhielten eine Son– dergenehmigung (Dispens) vom Vati– kan und konnten in der katholischen Kirche getraut werden. Unsere Kinder sind getauft und Katholiken. GAL: Üben Sie Ihre Religion aus? E: Eigentlich nicht, erstens habe ich keine Möglichkeit und außerdem bin ich nicht sehr gläubig. Trotzdem fühle ich mich zur israelitischen Glaubensge– meinschaft zugehörig. GAL: Wie war das Leben in der israeli– tischen Kultusgemeinde seinerzeit? E: So wie anderswo auch: Die Gläubi– gen gingen jeden Freitag abend zum Gottesdienst in die Synagoge, natürlich auch zu den jüdischen Feiertagen. Ver– eine gab es meines Wissens nicht, dazu war auch die Gemeinde zu klein . Die Juden, die hier in Steyr lebten, waren bereits sehr assimiliert. Allerdings, ich glaube, nach der Machtergreifung der Nazis in Deutschland, begann bei den jüdischen Mitbürgern ein Umdenken. So begann damals ein Sohn des hiesigen Rabbiners, die jüdischen Jugendlichen in einer Gruppe zusammenzuschließen. Er schuf so in Steyr eine zionistische Gruppe, der sich die meisten jüdischen Jugendlichen anschlossen. Dank dieser Bewegung waren auch viele bereit, nach dem Anschluß in das damalige Palästina (heutige Israel) aus– zuwandern. Natürlich nur , soweit die Nazis dies duldeten. GAL: Erinnern Sie sich daran, daß Sie in ihrer Kindheit in die Gemeinschaft integriert waren? E: Mehr oder weniger ja. Von Seiten der Lehrkräfte gab es keine Anfeindun– gen. Beschimpfungen durch die Mit– schüler kamen öfters vor. Kein Wun– der , denn wir lebten in einer Zeit, in der bereits nazistisches Gedankengut tief in einem Teil der Bevölkerung verankert war. GAL: Können Sie sich an die erste Be– gegnung mit dem Antisemitismus in Steyr erinnern? · E: Ja , das trug sich am deutschen Turn– platz zu . Es war die 1. Klasse des Gym– nasiums 1932/33. Wir gingen geschlos– sen von der Schule zum Turnplatz, um im Freien zu turnen. Der dort am Platz anwesende Turnwart mußte mich ge– kannt haben , denn er ging zum Profes– sor und sagte: ,,Unser Turnplatz ist nur für Arier, schicken Sie den Judenbuben heim." Der Professor weigerte sich , ob– wohl er, soviel ich wußte, Großdeut– scher war und dem deutschen Turner- .bund sehr nahe stand. Er sagte dann zu mir: ,,In Zukunft, wenn wir wieder zum Turnplatz gehen , gehst heim. " Weiters erinnere ich mich an einen Vor– fall ungefähr zur selben Zeit. Ich betrat ein Papier- und Buchhandlungsgeschäft in der Absicht, mir dort Schulhefte zu kaufen. Vor mir stand hinter seine~ Pult der Inhaber des Geschäftes in vol– ler SA-Uniform, hob seine Hand, grüßte mit „Heil Hitler" und sagte zu mir: ,,An Juden verkaufe ich nichts. " Ich betrat dieses Geschäft nie wieder. In diesem Geschäft kann man auch heute noch die deutsche Nationalzeitung und andere ähnliche Zeitschriften bekom– men. Auch einen weiteren Zwischenfall aus dieser Zeit kann ich schildern: Ei– nige jüdische Kinder, darunter auch ich, badeten im Schwimmbecken der Schwimmschule im Wehrgraben, da be– gannen plötzlich einige junge Burschen, die uns erkannten, zu schreien: ,,Her– aus , heraus, die Juden verpesten das Wasser!" Wir verließen die Badeanstalt und gingen nach Hause. Diese Bur– schen waren illegale HJ-ler. Eine _andere Episode erlebte ich im Boxclub. Nachdem ich schon längere Zeit zum Boxtraining ging, wurde ich zu einem Rahmenkampf im Ring nomi– niert, der natürlich auf Plakaten ange– kündigt wurde. Darauf stand mein Name. Kurze Zeit nach diesem Kampf teilte mir der Obmann des Vereins mit, daß es ihm persönlich leid täte, doch er wurde aufgefordert, mit mitzuteilen, · daß ich nicht mehr zum Training kom-

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