Grüne Bürgerzeitung, Nummer 1, April 1989

GRÜNE BÜRGER-ZEITUNG Hochtemperaturvergasung in Steyr: Profitable Konz~ptlosigkeit Nun ist sie also wieder im Gespräch, die Sondermüll-Hochtemperaturverga– sungsanlage (HTV) für Steyr. Vor 2 Jahren war es vor allem die GAL, die einer privaten Steyrer Betriebsfirma durch Aufdeckung einer bis dahin im Verborgenen geführten Betriebsamkeit im wahrsten Sinn des Wortes einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Die Folge war ein massiver Bürgerpro– test der u. a. zur Gründung der Interes– sensgemeinschaft „Lebensqualität in Steyr" geführt hat. Mittlerweile läuft die Anlage, die von der VOEST entwickelt wurde, im Pro– bebetrieb - Grund genug für die Steyrer „Stadtväter" , sich die Sache noch einmal anzusehen. Und dieser ominöse Betriebsbesuch, von der VOEST großzügig arrangiert, am Dienstag (4. 4. 89), hat offenbar das seinige bewirkt. Bürgermeister, Stadt– räte, Beamte und teilweise auch die P-ressevertreter waren von der techni– schen Qualität der Anlage restlos be– geistert und von der Notwendigkeit der Sondermüllvergasung in Steyr über– zeugt. Der Verdacht liegt nahe, daß die Herrschaften den billigen Verkaufs– tricks eines maroden und daher auf– tragsgeilen Staatsbetriebes auf den Leim gegangen sind. Vertreter des Baurates, die im bisher meistbeachtetsten Modell einer Bürger– beteiligung die Probeläufe der Anlage kontrollieren sollen, sehen die Dinge nämlich ganz anders. So hat vor kurzem ein unabhängiger Gutachter (Dr. Theo Schneider, Öko-Institut Darmstadt) seine Arbeit im Beirat zurückgelegt, weil er - so wörtlich: unter den herr– schenden Bedingungen keinen Sinn mehr darin sieht in Linz zu arbeiten. Er kritisiert das Testprogramm, das seiner , Meinung nach nicht ausreichend ist, die Anlage klar beurteilen zu können. Alle Testläufe mit Sonderabfällen laufen un– befriedigend, so Schneider, insbeson– dere sei das Zerstörungsverhalten von organischen Stoffen nicht zu prüfen, vor allem aber werden gewisse Rahmenbe– dingungen nicht eingehalten. So hält sich die VOEST, die mit dem Sanktus der „beteiligten Bürger" ein Milliarden– geschäft wittert, nicht an die im Beirat beschlossenen Vorgangsweisen. So wird die , von den VOEST-Vertretern den Steyrer Besuchern vorgegaukelte vollständige Dioxinbeseitigung von den Gutachtern ad absurdum geführt. Da war in Linz lange Zeit überhaupt keine Vorrichtung zur Messung dieses Supergiftes vorhanden und auch später, nach dem Einbau der ursprünglich, der VOEST zu teuren Vorrichtung, stellten sich die Werte als völlig nutzlos heraus, da die erforderliche Abkühlung des Ga– ses auf 120°c nicht möglich war. Soweit nur ein Beispiel aus den vielen technischen Zwischenfällen rund um die Anlage. Entsetzt über die vielen Unklarheiten und die allgemein sehr vage Situation, was den Betrieb der Anlage anlangt, waren bei einem Lokalaugenschein im VOEST-Gelände auch die Vertreter der Bürgerinitiative gegen die Sonder– müllvergasung und GAL-Mitarbeiter aus Steyr. Wir glauben, daß sich die Verantwortli– chen der Stadt Steyr auch die von der VOEST unabhängigen Experten anhö– ren sollten, bevor sie vor lauter Faszina– tion falsche Entscheidungen treffen. Steyr: Drehscheibe im europäischen Mülltourismus Sicher klingt es sehr einladend, wenn Bgm. Schwarz und Stadtrat Schloßgangl den aktuellen Mülltourismus mit einer HTV in Steyr beikommen wollen. Na– türlich ist es ihnen unangenehm, wenn Steyr im Zusammenhang mit einem hei– mischen Entsorgungsunternehmen im– mer wieder in den Schlagzeilen und Skandalmeldungen rund um das inter– .nationale Mül!geschäft aufscheint. Experten des OKO-Instituts in Wien se– hen Steyr, dank dieses „rührigen" Un– ternehmens, immer mehr als eine Art österreichische Drehscheibe im europä– ischen Mülltourismus. 4/891 Aber anstatt derartigen Unternehmen das recht oft auch unlautere Handwerk zu legen, läßt man von privaten Unter– nehmern (!) eine Anlage konzipieren, die mit 10.000 Jahrestonnen weit über den reinen Bedarf in Steyr hinausgeht. Fragt sich nur, wem diese Anlage denn wohl noch nutzen soll. ,Während in Linz die öffentliche Hand am Zug ist, soll die Anlage in Steyr wie gesagt, privat betrieben werden. Um wieviel komplizierter dadurch eine (unbedingt notwendige) permanente Kontrolle wird, liegt auf der Hand. Zu– mal auch in Linz unter den beschriebe– nen Umständen, von wirklicher Kon– trolle gar nicht gesprochen werden kann. Wie Bgm. Schwarz, glauben auch wir Grüne, daß es was die Frage des Son– dermülls anlangt, nicht so weitergehen kann wie bisher. Allerdings ziehen wir daraus;'.mdere Schlüsse als er : Vor allem darf nicht mehr so viel Son– dermüll produziert werden und bevor nicht über konkrete Schritte zur Müll– vermeidung auch in Steyr geredet wird, soll über eine derartige Anlage erst gar nicht verhandelt werden. Genauso wie es in Österreich kein um– fassendes Konzept zur Müllvermeidung gibt, gibt es auch kein Konzept , was die Standorte für seine Beseitigung betrifft. So wird einfach dort errichtet, wo es möglich und nicht wo es sinnvoll ist. Natürlich sehen auch wir die Notwen– digkeit der „Beseitigung" des bereits angefallenen bzw. des derzeit nicht zu vermeidenden Sondermülls. Trotzdem sollten wir, bei aller Faszina– tion durch die „Verbrennungsanlage" uns eine Option für die Deponierung of– fen lassen . Was den gegenwärtigen Stand der Tech– nik anlangt, scheinen Hochsicherheits– deponien die geeignetste Variante zu sein, zumal durch teure Lagerkosten für die Sondermüllproduzenten der Zwang zur Vermeidung um etliches größer wäre. Aus -den verschiedensten ange– führten Gründen lehnen wir unter den gegebenen Umständen in der derzeiti– gen Situation die Errichtung einer HTV in Steyr entschieden ab. Gleichzeitig fordern wir eine umfassende, möglichst objektiv geführte Informations- u. Dis– kussionskampagne zur Frage der Müll– vermeidung und Sondermüllentsorgung in Steyr. Nur durch die Mithilfe aller Bürger, kann dieses Problem mit seinen oft weitreichenden Folgen (auch für uns nachfolgende Generationen) gelöst werden.

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