Grüne Bürgerzeitung, Nummer 4, Dezember 1988
GRÜNE BÜRGER-ZEITUNG AUS DEM GEMEINDERAT: Budgetvoranschlag für 1989: Es knirscht im Getriebe Zum Ablauf der Veranstaltung: In der letzten Sitzung des Gemeinderats in einem Kalenderjahr ist traditionell der Budgetvoranschlag für das jeweils nächste Kalenderjahr der Hauptpunkt der Tagesordnung. Das ist dann auch ein Thema , das den Gemeinderat bis spiit in den /\benc.l hinein beschäftigt (Sitzungsende ca. 22 Uhr). Außerdem sind zu dies ·111 /\nlaß einig· B ·sucher anwesend , zumeist iilterc 11 ·rren, die sich das Schauspiel nicht entgehen las- sen wollen und auch tapfer bis zum Schluß der Debatte durchhalten. Neben den Fraktionsführern - als den ständigen Debattenrednern zu allen Themen - reden bei dieser Gelegenheit auch andere Mitglieder des Gemeinde- r.ats, die sonst während des Jahres kaum jemals das Wort ergreifen. Nachdem vom Geld so ziemlich alles ab- hängt, ist naturgemäß der Bogen der Redebeiträge weit gespannt. Nach dem Finanzreferenten und Vize- bürgermeister Wippersb rger, der den Budgetvoranschlag vorstellt und kom menticrt (Tenor: vorsichtiger Optimis- mus), sprechen die Fraktionsvorsitzen- den der Parteien in der Reihe ihrer „Wichtigkeit" (ÖVP dann GAL dann KPÖ dann FPÖ). Die Essenz dieser Beiträge wird von den Regionalzeitun- gen am nächsten Tag gedruckt. Der „Generalist und Internationalist" Otto Treml (KPÖ), der neben einer Reihe von Vorschlägen zum Budget selber auch die Verbindungen und Ab- hiingigkciten der tadt von Land und Bund dargelegt hat, aber auch über die Bedeutung der Dritten Welt (Städte- partnerschaft, ein langer Wunsch der GAL) und von den Beziehungen der Supermächte (Gorbatschovs Abrü- stungsvorschläge) spricht, zieht dabei den Bogen am weitesten (ebenfalls eine lange Tradition). Während so die Stunden dahinziehen, die Gesichter müder und die Hirne zu- geknöpfter werden, bemühen sich (un- terbrochen von einigen kurzen Pausen) der Bürgermeister und die Stadt- und Gemeinderäte der „Großparteien" SPÖ und ÖVP, zu einer Reihe von De- tailthemen des Stadthaushalts Stellung zu nehmen. Heuer waren dies (in der Reihenfolge des Auftretens) die Damen und Herren Schwarz (SPÖ, Grundsätzliches), Zöcbling (SPÖ, Wohnungsbau), Schloßgangl (ÖVP; Wirtschaftsförde- rung, Gewerbehof), Wieser (ÖVP; Wohnungen, Familie), Sablik (SPÖ; Soziales, Wirtschaftshof), Hochrather (ÖVP; Verkehr, Straßenbau), Spöck (ÖVP; Familie), Scbreiberhuber (SPÖ; Familie), Pimsl (SPÖ; Verkehr und Umwelt), die allesamt mit mehr oder weniger Erfolg bemüht waren, gegen das steigenden Desinteresse des kolle- gialen Publikums anzureden. Ich habe mich bemüht, durch lautstar- kes Verlangen nach einer „Zugabe" bei der Rede des Herrn Stadtrats Sablik, der er auch prompt nachgekommen ist, - die Zuhörer etwas aufzulockern, obwohl das Thema zu ernst für Scherz- chen dieser Art ist. Mit den Abscblußbemerkungen von Vizebürgermeister Wippersberger wird der Voranschlag - ~ie _geplant - m~_t den Stimmen von SPO, OVP und KPO und gegen die von GAL und FPÖ be- schlossen. Die Schlacht ist geschlagen, der Bürgermeister wünscht frohe Weih- nachten und lädt ins Casino. Zum Budgetvoranschlag 1989: In diesem Voranschlag wird alles sicht- bar, was die finanzielle Situation der Stadt kennzeichnet. Der Kernpunkt: Das Geld reicht hinten und vorne nicht, um die vorhandenen Wünsche auch nur teilweise zu erfüllen. Die Zeiten des einfachen Verteilens des Geldes - weil ohnehin genug vorhanden - sind für Steyr längst vorbei. Die wesentliche Konsequenz: Die Stadt beschäftigt im nächsten Jahr 17 Mitar- beiter weniger, die Investitionen ( = Aus- gaben im außerordentlichen Haushalt) wurden um 12 % reduziert. Trotzdem wurden für den Haushalts- ausgleich 43 Millionen Schilling an Rücklagen aufgelöst. Damit sind die Rücklagen fast aufgebraucht. Die Inve- stitionstätigkeit der Stadt wird durch neue hohe Kredite in der Höhe von ca . 60 Millionen Schilling finanziert (davon 15 Millionen „billige" Kredite des Was- serwirtschaftsfonds für den Kanalbau). Dies erhöht die Schuldenlast der Stadt auf etwa 550 Millionen Schilling. 4/881 Die Schulden der Stadt wurden damit in 10 Jahren verdoppelt. Obwohl die Verantwortlichen versu- chen, die finanziellen Verhältnisse der Stadt einigermaßen ins Lot zu bringen, reichen die getroffenen Maßnahmen (leider) nicht aus. Nimmt man die Bud- getentwicklung der letzten 10 Jahre und rechnet daraus die nächsten 5 Jahre hoch, so ergibt sich ein düsteres Bild, Blieben 1980 nach Abzug der direkten Ausgaben (Personal, Pensionen, Auf- wandsentschädigungen, Sachaufwand, Zinsen) noch 20 % der Einnahmen (aus Steuern und Dienstleistungen) übrig, um Schulden zu tilgen und Investitionen und Großreparaturen zu finanzieren, so sind es 1989 nur mehr 10 %. Der Aufwand für Schuldentilgung und Zinszahlungen ist von 30 Millionen Schilling 1980 auf 64 Millionen Schilling für 1989 angestiegen. Wenn sich nichts ändert, reichen die Ein- nahmen bereits 1993/94 nur mehr zur Deckung der fixen Ausgaben. Die Tilgung alter Schulden wäre dann nur mehr durch neue Schulden möglich. Verhältnisse wie in einem Entwick- lungsland! Dies ist auch der Grund warum ich dem Budgetvoranschlag nicht zugestimmt habe, obwohl 1989 wirklich nur das Nötigste ausgegeben wird. Auch das ist - unter den gegebenen Umständen - noch zuviel. Meine Kritik in der Gemeinderatssit- zung wurde als „Schwarzsehen" und ,,Weltuntergangsstimmung" (Vizebür- germeister Wippersberger) qualifiziert. Auch andere Kollegen des Gemeinde- rats (etwa Stadtrat Sablik und der Bür- germeister) haben sich hier (stellvertre- tend für die älteren Gemeinderäte) angegriffen gefühlt. Man rechtfertigt sich damit, daß die Ausgaben der letzten beiden Jahr- zehnte, die die Ursache für die jetzige hohe Schuldenlast sind, alle notwendig gewesen seien. Es sei nichts Sinnloses mit dem geborgten Geld gebaut oder angeschafft worden. Außerdem seien die meisten Beschlüsse vom Gemeinde- rat einstimmig gefaßt worden. Zu meinem Vorschlag ein „Fastenjabr" einzulegen und alle irgendwie mögli- chen Investitionen ein Jahr zu verschie- ben und damit einen etwa 30 Millionen Schilling „teuren" Kredit weniger auf- zunehmen bat Vizebürgermeister Wip- persberger mit den Bemerkungen, ,,das
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