Grüne Bürgerzeitung, Nummer 2, Mai 1986
8 GRUNE BURGERINFORMATION einen kennt, der seinen Kopf durch ein Na- delöhr stecken kann usw. usw. Die Bekannte ist entsetzt über meine Worte. Ich sei geschmacklos. (Der Tod von Heinz Conrads hat sie Übrigens mehr getroffen als die atomare Katastrophe). Auch unsere Nachbarn reagieren eigenartig. Einige werfen täglich unsere Schuhe, die wir natürlich vor der Wohnungstür stehen lassen, boshaft über den Haufen. Andere wiederum lassen ihre Kinder demonstrativ unter unse - rem Fenster spielen, um uns zu zeigen, daß sie es sind, die recht haben. Aber das ist ja schließlich unsere Sache, . argumentieren sie. Das bestreite ich. Gibt es angesichts einer solchen allesumfassenden Verseuchung noch "meine Sache"? Wie kommt mein Sohn dazu, könnte ich argu- mentieren, daß er eines Tages ein behinder - tes Kind zeugt mit einer fahrlässig Erbgut- geschädigten! Also ich glaube, "meine Sache" - "deine Sache", diese Rechnung geht nicht auf. Und als Überleitung zum dritten Bild: Ein Bub, Sohn eines Bauern, erzählt mir, sein Vater hötte neuerlich extra ein Schaf ge- molken und die frische Milch getrunken, weil er, der Bauer, sich doch vom Herrn Kreuzer nicht sagen lasse, was er essen dürfe und was nicht. Überhaupt, so hört man auf dem Lande, das mit den Grünfutterverboten sei ja ein Politi- kum, weil der Herr Kreuzer, der ja ein Ro- ter ist, will ja uns Bauern, die wir Schwarze sind, schon lange etwas z'Fleiß tun. - Naja, vielleicht war die Explosion in Tschernobyl auch nur ein Politikum. Drittes Bild: Die Öffentlichkeit Von manchen Schulen höre ich, daß es dort Schwierigkeiten mit der Einhaltung der lan- desschulrätlichen Empfehlungen geben soll. Biologielehrer, kommt mir weiters zu Ohren, wüßten (natürlich nur in einigen Schulen) plötzlich nichts mehr über Radioaktivität zu berichten. Entsetzt soll man mancherorts sein, daß man mit den Kindern nicht mehr ins Freie gehen darf. · Tenor: Was gehen mich die Kinder an, die Eltern halten sich ja auch nicht an die Empfehlungen. Da fehlen mir die Worte, aber dami~ was dasteht, schreib' ich: UNGEHEUERLICH. Informiert wurden wir ja übrigens prächtig. D.h. wir mußten uns die Informationen holen. Zusammenkletzeln. Und das zitzerl- weis'. Und das war auch wieder nur möglich, wenn man tagaus tagein das Radiogerät laufen hatte. Und aus diesem Gerät erfuhr man, wie auch aus dem Fernsehen, auch alles nur im nachhinein. Es war also ein "Russisches Roulette" im wahrsten Sinne des Wortes. Wir hatten z.B. in den ersten Tagen die Fenster geschlossen. Medienurteil im nach- hinein: es war richtig. Am 4. Mai machten wir eine Radtour mit unseren Kindern, da- mit sie uns zu Hause nicht ganz zu Käse wurden. Medienurteil im nachhinein: Falsch. Da wird Staub aufgewirbelt, besonders wenn dich einer überholt usf. Dabei hießt es vor- her immer: Denbodennichtberührendenboden- nichtberührendenbodennichtberühren, also schwangen wir uns aufs Rad - entsetzlich! Oft packte mich die nackte Wut. Hat uns der Umweltkreuzer wirklich hängen lassen wegen der Scheißwahl (nicht böse sein, Freda, so eine Scheißwahl wars nun auch wieder nicht). Der Verdacht, daß er's getan hat, liegt schon sehr nahe. Heute z.B. höre ich im Radio und komme aus dem Staunen nicht mehr heraus, daß man am 30. April schon überlegt hat, ob man Sirenen- alarm geben soll! In der Schule versuche ich mit den Kindern (zwölfjährige Staatsbürger) vorsichtig an die Problematik heranzugehen. Große Augen, verwunderte Gesichter. Als wir zu den Erb- schäden kommen, reagiert bei den Mädchen sofort der Mutterinstinkt. Da müssen wir schon vorsichtig sein usw. Oh Lichtblick! Zusammenfassend wäre zu sagen: Der Öster- reicher ist ja nicht in der Lage, Katastro- phen und Skandale als solche zu erkennen, ja er ist schon gar nicht fähig, sie zu meistern. Aber wie denn auch, wenn die Medien ent- sprechend daneben informieren. Wo hat man denn z.B. die Herren Lorenz, Otto König, Lötsch oder Hans Werner Mackwitz einge- sperrt. Doch nicht in einen Atombunker, oder? Impressum: Medieninhaber, Herausgeber: GAL Steyr, Wieserfeldplatz 13, 4400 Steyr; Redaktion: Franz Ramoser, Wieserfeldplatz 13, 4400 Steyr; Hersteller, Herstellungsort: ENNSTHALERdruck, Steyr; Verlagspostamt, Er- scheinungsort: 4400 Steyr; Grundlegende Richtung: biologisch, solidarisch, demokratisch und gewaltfrei
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