Grüne Bürgerzeitung, Nummer 2, Mai 1986
Günther Grasböck TSCHERNOBILDER Erstes Bild: Der Hysteriker Der Hysteriker sperrt seine Kinder, 4 und 1 1/2 Jahre alt, in seine Woh- · nung ein, und seine Frau, die Hyste- rikerin, dazu. Dort fristen die drei ein "menschenwürdiges Dasein", nur weil sie ein paar Strahlen weniger abbekommen möchten, diese Ego- isten. Die wollen wohl 150 Jahre alt werden. Die beiden Kinder spielen den gan- zen Tag und merken nichts {Gott sei Dank), die Frau ist depremiert und entsetzt, der Mann ebenfalls, und zwar so, daß beide nur sehr unkonzen- triert ihrer täglichen Arbeit nachgehen · kön- nen. Drei Wochen Vorsichtsmaßnahmen sind nicht drinnen für den Österreicher. Drei Wochen sind ihm die Zukunft seiner Menschen bzw. ein gesundes und möglichst unbelastetes spä- tere Leben seiner Kinder nicht wert. Gut manche haben nicht erfaßt, was Radio- aktivität wirklich bedeutet, d.h. sie haben keine Ahnung von der Heimtücke und letzt- endlichen Gefährlichkeit der Strahlung, ge- gen welch~ kein Immunsystem hilft, kein Medikament (auch nicht Jodtabletten, um Gottes willen! habe ich mir vo.n mehreren Ärzten sagen lassen), sondern nur eines: möglichst wenig davon abzubekommen. Und das kann man. Und man soll auch, ver - dammt, laut Kinderärztin des Hysterikers. Auch wenn's vielleicht eines Tages im Brot drin ist. Auch wenn's vielleicht bald im Grundwasser ist, speziell das Scheußliche da, was uns, gemessen an irdischen Begriffen, in Ewigkeit Amen bleibt: Caesium und Stron- tium (deutsche Wissenschaftler wollen auch schon Plutonium nachgewiesen haben). Also Minimieren geht. Ja, es liegt auf der Hand daß man durch verantwortungsbewuß- tes Handeln und gezielte Nahrungsauswahl die Belastung für seine Kinder in Grenzen halten kann. Es geht. Das ist unumstritten. Allein glauben will's keiner. Sie sagen, du kommst den Strahlen eh net aus. Bequeme Ausrede zur Rechtfertigung lange vorausge- planter Ausflüge, denke ich. GRUNE BtlRGERINFORMATION 7 Hände vor die Augen, Brett vor den Kopf! - Ist aber nicht einmal notwendig, denn man sieht, hört, schmeckt und riecht nichts von dem Zeug. Darum kann's ja wohl auch gar nicht da sein, oder ? Zweites Bild: Freunde und Bekannte Sagt einer: In den Sechzigerjahren hatten wir eine viel höhere Belastung, und man hat auch nichts getan, und alle sind wir gesund. Na eben. Darum ab in die Sandkisten, denn was da heute strahlt, ist ja harmlos. Unmit- telbar spürst ja nix. Und kriegt das Kind den Krebst mit 35, dan find ma schon a andere Ursache: Hast vielleicht ungsund glebt? Warst vielleicht in deiner Kindheit einmal drei Wochen eingesperrt und hast ka Sonn der wischt? Ja und die Erbschäden? Kind mit drei Händen, Kopf wächst nicht weiter usf.? - Nazis, regt's euch doch auf! Das Erbgut der deutschen Rasse ist in Ge- fahr! Aber die Nazis regen sich nicht auf. Haben jodament jetzt andere Sorgen. · Erbschäden! sagt eine Bekannte. Behinderte gibt's doch auch heute. Ei ja, sage ich, ei ja. Freilich, wir müssen dafUr sorgen, daß uns die Behinderten nicht aussterben. Das ginge doch nicht. Jetzt, wo sie sogar schon eine eigene Zeitung (Maga- zin "MOBIL") haben. Vielleicht gibts in 25 Jahren, so die Welt nocht stehen sollte, eine Olympiade der Dreibeinigen. Oder vielleicht wettet bei Frank Elstners Nachfolger einer, daß er
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2