Festführer Kreisturnfest 1928

15 Ungeachtet des Fortfalles gerade der besten und eifrigsten Turner wurde nicht nur der Turnbetrieb im vollen Umfange aufrecht gehalten, sondern sogar die Zahl der Turnbesuche hielt sich im Durchschnitt auf der höhe der Vorkriegszeit, ja übertraf im Jahre des Elendes 1918 mit 13.069 die Ziffer von 12.733 des bisher besten Jahres 1911. Ms Turnlehrer Pichler im Jahre 1915 ins Feld gezogen war, da sprang der wackere Turnwart Paul Römer in die Dresche und übernahm die Leitung des Turn­ betriebes. Nun kam der Zusammenbruch des Hinterlandes! Zehn­ taufende von Arbeitern, ein buntes, im wahren Sinne vater- landslofes Gemisch aller Völker des alten Österreich, waren in Steyr unter den ungünstigsten Verhältnissen zusammengepfercht! )n elenden Wohnungen untergebracht, ebenso elend ernährt, waren diese Leute ein willfähriges Werkzeug in den Händen jener volks- und raffefremden Gestalten, die mit Redensarten und blendenden Vorspiegelungen eine arbeits- und sorgenlose Zu­ kunft vorgaukelten und alles das in den Schmutz zerrten, was kurze Zeit vorher von der gleichen Menge noch bejubelt worden war. Und während unsere Heimatsföhne, die braven „Vierzehner" und Zweierfchützen sich noch wie Löwen gegen den Erbfeind wehrten, brach die Heimat zusammen. In jener Stunde waren es die deutschen Turner, die sich in den Dienst der Heimatstadt stellten und in strammer Zucht die wichtigsten Gebäude bewach­ ten. Der nachmalige Bürgermeister Joses Wokral war am 30. (Ok­ tober im fiafino erschienen und hatte die dort versammelten (Turner gebeten, bei Aufrechterhaltung der (Ordnung mitzu­ helfen. Selbst denen, die den Aufruhr mitentfeffelt hatten, war die Turnerhilfe nun willkommen! Doch allzurasch war auch dieser Dienst vergessen, und ein Wirbelsturm brauste gegen alles, was deutsch, was völkisch hieß! So manche Säule im deutschen Lager fiel, jetzt schieden sich die echten Jahn'schen Turner und jene, denen der verein nur „Turnanstalt" gewesen, wir weinen ihnen keine Träne nach, wir werfen auch keinen Stein auf sie, teils war es mangelnde Einsicht und Urteilslosigkeit, teils falsch verstandenes soziales Empfinden, zum grofzen Teile aber wirt­ schaftliche Not und Zwang, die sie zum Abfall brachten. Aber für jeden Abgefallenen kam doppelter Ersatz, das völkische Gewissen gar so Manches erwachte in dieser Zeit und hatte schon zu Ende 1918 die Zahl unserer Vereinsangehörigen 497 erreicht, also die Zahl vom Jahre 1911 um nahezu 100 über­ schritten, so fetzte jetzt ein ungeahnter Aufschwung ein: 1919 zählten wir 628, ein Jahr darauf 753, Ende 1921 schon 896, 1923 — trotz der Vorkommnisse des Jahres 1922 — gar 997 An­ gehörige und auf dieser Zahl, die 1927 unter Pichlers (Vbmann- fchaft sogar über 1000 stieg, halten wir uns seither. Damit dürften wir jene Zahl erreicht haben, die, bei der derzeitigen geistigen Einstellung unserer Mitbürger, die Anhänger Unserer Hochziele nahezu voll erfaßt.

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