erlebt und die Lebensumstände dort kennen lernt, beginnt man seine eigene Herkunft zu reflektieren und die persönlichen Perspekti ven erweitern sich. Manchmal ergeben sich aus solchen Projekten auch Freundschaften fürs Leben. So reiste das Gewölbe bereits nach Italien, Zypern, Nordirland, Island und Rumänien und brachte Gästen aus Ungarn, Estland, der Slowakei, England, Malta, Nordir land und Rumänien das Leben in Österreich näher. Die Themen Frieden, Identität, Pers pektivenwechsel und Persönlichkeitsentwick lung spielten dabei immer eine wichtige Rolle. In den letzten Jahren bereicherte auch jähr lich ein/e europäische/r Freiwillige/r das Ge wölbe-Team. Junge Menschen aus der Repub lik Moldau, aus Deutschland, dem Baskenland, aus Russland, Portugal, Griechenland und Ir land blieben jeweils ein Schuljahr lang in Steyr und brachten ihre Persönlichkeiten und ihre Kulturen in den Jugendzentrumsbetrieb ein. So erlebten die Jugendlichen baskische Weih nachten, ein russisches Neujahrsfest, griechi sche Ostertraditionen und wir feierten den St. Patrick's Day. Doch vor allem die alltäglichen Begegnungen, sowie das Erlernen von ein paar Wörtern in einer anderen Sprache und die viel fältige internationaleKüche stellen für die Besucher*innen immer eine Bereicherung dar. Die Freiwilligen werden zum fixen Bestandteil der Gewölbe-Familie und immer wieder hört man die Leute von ihren Erinnerungen mit Ana, Rüben, Ihintza, Ira, Evdoxia, Diogo oder Eva sprechenund schwärmen. Die zweite gesellschaftliche Entwicklung, die immer mehr im Jugendzentrum sichtbar wird, ist die der Geschlechtsidentität und der sexuellen Orientierung. Auch hier ist für uns klar, es geht um den Menschen mit seinen Bedürfnissen, Ängsten, Verunsicherungen, Gefühlen, Freuden und Fragen, und auch hier gilt, die Jugendlichen werden bei uns ange nommen, wie sie sind, auch wenn sie auf der Suche sind. Immer wieder sind wir Ansprech personen, die zuhören, mitfühlen, Fragen stel len und bestärken. Schon mehrmals haben wir die Rückmeldung bekommen, dass die Regen bogenfahne, die aus unserem Fenster hängt, für einige Jugendliche viel bedeutet. Von einer kirchlichen Einrichtung würden sie das eher nicht erwarten. Ein weiterer Aspekt der Inklusion, der uns oft gar nicht mehr bewusst ist, ist die Inte gration von Jugendlichen mit Behinderung in unserer Arbeit. Was macht mich wütend oder traurig? Wütend oder traurig machen mich Bestim mungen und Aussagen der Amtskirche, die diskriminieren - und das mehr als die Hälfte unserer Menschheit. Als junge aufgeklärte Frau werde ich regelmäßig dazu gezwungen, zu reflektieren, warum ich eigentlich bei der Kirche bin. Wäre ich nicht in einer so libera len Pfarre wie der Ennsleite aufgewachsen und hätte ich nicht das Gewölbe in meiner Jugendzeit erlebt, hätte ich den Weg zur Seel sorgerin wahrscheinlich nicht eingeschlagen. So versuche ich vor Ort mein Bestes zu geben und Kirche als einen lebensbejahenden Ort zu vermitteln. Das Verbot der Segnung gleich geschlechtlicher Paare zerstörte wieder viel Vertrauen in die Kirche, das viele an der Basis über Jahre hinweg aufzubauen versucht ha ben. Ebenfalls wütend und traurig macht es mich, wenn Jugendliche und Ehrenamtliche unserer Gewölbefamilie wegen Abschiebung das Land verlassen müssen. Mit vielen haben wir mit gezittert, ob sie in Österreich bleiben können, Bestätigungen über ihre Verdienste geschrie ben, mit Rechtsanwälten telefoniert usw. Mit manchen konnten wir feiern, manche, die uns ebenfalls sehr ans Herz gewachsen waren, mussten wir aber leider verabschieden. Erst im Frühjahr verloren wir einen Ehrenamtli chen, der uns mit seiner Freundlichkeit immer bezaubert hat und mit dem wir viel mitgelitten haben, denn nach über fünf Jahren Wartezeit und bester Integration hatte er keine Aussich ten auf ein Bleiberecht. 28
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2