sehen „Ständestaat", die Ustascha in Kroatien, Franco in Spanien, Salazar in Portugal) nicht nur unterstützt, sondern sie geistig/geistlich legitimiert? Und dass die meisten der mörde rischen Militärdiktaturen in Lateinamerika mit dem offiziellen Segen ihrer Bischöfe agierten, gehört auch in dieses Schema. Rom hat zu dem allen milde zustimmendgenickt. Zurück zu den Quellen Warum also, mein Freund, ist es wirklich so logisch, als Katholik politisch links zu stehen? Ja, sage ich jetzt, logisch wird es erst dann, wenn du an der römischen Hierarchie vorbei wieder zurück zu den Quellen gehst, zu den bi blischen Erzählungen, zu den Texten der Evan gelien. Denn auch in denen gab es viel Neues zu entdecken. Ich mache das an der Geschich te von der Brotvermehrung deutlich: In der Volksschule hat uns der Dechant das Wunder ganz einfach erklärt: Kaum hatte einer der Jünger ein Stück Brot ausgegeben, schwupps, lag schon ein neues da. Ein Wunder also im wortwörtlichen Sinn, eine Überwindung der Naturgesetze also. Aber unsere Kapläne haben uns eine an dere Variante geliefert: Es ist nämlich sehr unwahrscheinlich, dass jemand, der Jesus in eine karge Halbwüste folgt, weitab von je dem Dorf, sich nichts zum Essen einsteckt. Wahrscheinlich hatte also jeder, der damals dabei war, eine Jause mit. Aber als dann der Hunger kam, fürchteten alle, der andere habe nichts bei sich, und müsse teilen. Sie hatten Angst vor den hungrigen Blicken der Nachbarn und trauten sich nicht, auszupacken. Aber als Jesus sagte: „So, jetzt setzen wir uns alle zur Jause", da öffnete sein Geist ihnen Herzen und Bschoadbinkerl, alle aßen, boten ihren Nach barn freudig davon an, und am Ende waren alle satt, ja, es blieb sogar noch etwas übrig. Im Gegensatz zum Wunder können wir alle aus dieser Geschichte etwas für unser Leben empfangen: Ja, es ist genug für alle da, wenn wir nur unsere Herzen und Hände öffnen! Was für eine Botschaft auch hinein in unsere aktu elle Welt, von der wir längst wissen, dass sie genug Brot für alle hat, würde es nur gerecht verteilt. Und dafür braucht es kein biblisches Wunder, sondern „nur" unser gläubiges Tun. Das alles war natürlich in eine Zeit hinein gesprochen, die auf (positive!) Veränderungen gestimmt war. Da waren die Proteste gegen den immer noch andauernden Vietnamkrieg und die Militärdiktaturen in Süd- und Mittel amerika und die Entdeckung der Befreiungs theologie dort. Eine Dokumentation über Camillo Torres, jenen katholischen Priester, der sich einer kolumbianischenGuerilla ange schlossen hatte, durften wir sogar im Franziskaner-Konvikt sehen, an dem sonst sämtliche uns bewegende Themen spurlos vorüberge gangen sind. Martin Luther King hatte seine „I Have a Dream'-Rede zwar bereits 1963 gehalten, aber sie erreichte uns gemeinsam mit weiteren In formationen über die amerikanische Bürger rechtsbewegung erst mit der Kunde von der Ermordung Kings 1988. Und im Hintergrund, aber manchmal auch ganz vorne, lieferte die Rock-Musik den Soundtrack dazu. The Doors/Jim Morrison: „We want the world, and we want it... Now!" Aus heutiger Sicht fast rührend muten un sere ständigen Debatten um den vorehelichen Sex an. Wir wollten von der Kirche unbedingt die Erlaubnis dazu, obwohl das Thema für die meisten von uns höchstens theoretischer Na tur war. Von unseren FlO-Kaplänen habe ich zwar dazu keine dezidierte Position in Erinne rung, nur anderer Jugendseelsorger flapste einmal auf die Frage, ob man vor dem Heira ten miteinander schlafen dürfe: „Ja, schlafen dürftets schon, aber ihr Luadern schlafts ja net!" Unsere Religionsprofessoren in der Schule mussten natürlich das kirchliche Verbot ver treten. Aber am Ende haben alle jungen Paa re es so gehalten, wie sie selber es für richtig gehalten haben und keinen Priester mehr da nach gefragt. 21
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