stammten aus katholischen Elternhäusern, die meisten unserer Eltern hatten pfarrliche Dienste geleistet, wir selber waren schon als Kinder Ministranten und in der Jungschar und begannen dann mit 16,17 Jahren Verantwor tung zu übernehmen, ich eben als Jungschar führer. Die Prägung erfolgte dabei auf zwei miteinan der verbundenen Ebenen: Da war als erste die Arbeit mit den Buben, Heimstunden, Aktionen, Teilnahme an kirchlichen Festen. Das bedeu tete Planung und Vorbereitung, war aber auch ein wichtiger Teil meiner jugendlichen Per sönlichkeitsbildung. Die zweite Ebene war die Zusammenarbeit der Führungskräfte auf der Dekanatsebene, bei den diözesanen Schulun gen und den Diözesanleitungskreisen. In ihrer Summe war das eine Gemeinschaft ungefähr gleich junger Menschen mit engagierten Kaplänen, die von der kirchlichen Aufbruchstimmung der Synodenjahre geprägt war und ihrerseits wieder andere, vor allem die Jungschar kinder, zu prägen versuchte. Da war z. B. die alljährliche Dreikönigsak tion, damals schon rund fünfzehn Jahre alt, die aus ihrer anfänglichen Armuts- und Hun gerhilfe einen kritischen Blick auf das schiefe Verhältnis zwischen „entwickelten" und „un terentwickelten" Regionen zu werfen begann, also Ansätze eines entwicklungspolitischen Bewusstseins entwickelte. Zur Vorbereitung der Aktion gab es immer zumindest zwei Heimstunden, in denen ich meinen Buben, so gut ich es eben wusste, die ungerechten Ver hältnisse zwischen Nord und Süd zu erklären versuchte. Der Grundgedanke war, den Schritt von der Barmherzigkeit zur Gerechtigkeit zu machen. Um beim Gesellschaftspolitischen zu blei ben: Es mag ja beim Lesen schon die unge nierte Verwendung des Jungschar-„Führers" aufgefallen sein. Einige Jahre später wurde der Begriff dann auch durch „Leiter" ersetzt, aber in den Jahren so um 1970 war er nieman dem ein Problem. Diese Gedankenlosigkeit spiegelt einfach die Haltung der damaligen Gesellschaft zur NS-Vergangenheit wider: Die war noch völlig unsensibel gegenüber solchem Vokabular, aber, um auch das klar zu sagen: Wir waren keine „Führer" im nationalsozialis tischen Sinn. Ja, wir haben auch unsere Geländespiele gespielt und hatten keine Ahnung, dass die aus dem Fundus der Hitlerjugend stammten. Und wir haben sie auch nicht in diesem Geist gespielt. Sie waren keine vormilitärische Aus bildung, keine Vorbereitungen auf Krieg und Soldatentum, sondern quasi-sportliche Wett kämpfe in der frischen Luft. Bei einem solchen Geländespiel in Leonstein drüben erlebte ich einmal eine saftige Überra schung: Um mich vor den Gegnern zu verste cken, kam mir gerade ein Heustadel Recht, doch als ich beim Stadeltor hineinstürmte, blieb ich wie angewurzelt stehen: Auf einem Heuhaufen saßen ein junger Bauernbursch aus unserer weiteren Nachbarschaft und sein Mädchen, das dort in der Gegend zu Hause war. Genau genommen war die Situation völ lig unverfänglich, die beiden waren ordentlich gekleidet und saßen sittsam nebeneinander, aber die Lokalität Heustadel hatte an sich schon so viel Zweideutiges, dass wir einander vor lauter Schrecken nicht einmal gegrüßt ha ben und ich, so schnell ich konnte, wieder das Weite gesucht habe. Die katholische Aufbruchsstimmung In unserer katholischen Aufbruchsstim mung war uns alles Neue Recht: die Gottes dienste mit Gitarrenbegleitung, oft in kleiner Runde und manchmal sogar mit echtem Brot und in beiderlei Gestalt, und die lebhaften De batten über die starren Sittengesetze. Dazu hatten wir gleich einen Paradefall in unseren eigenen Reihen: Die Dekanatsführerin der Mädchen hatte sich mit ihren Eltern überwer fen und war aus dem Elternhaus aus- und zu ihrem Freund, dem Dekanatsführer, gezogen - ohne Heirat und Trauschein! Der darauffolgen de Wirbel zog weite Kreise in den katholischen 18
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