Eine österreichische evangelische Parochie

Us hat etwas Trautes und Anheimelndes, in geschloffenen evangelischen Gebieten der deutschen Muttererde von Ort zu Ort zu wandern und überall in nächster Nähe evangelische Kirchen, Türme und freundliche Pfarrhäuser zu grüßen. Kaum eine Stunde weit liegen in vielen Landstrichen die Kirchorte auseinander. Eben hat man das Dorf mit dem spitzen, grüngestrichenen Turme verlassen, da kommt schon ein anderer mit breitem Ziegeldach in Sicht, um bald einen dritten abzulösen, vielleicht mit zierlicher Glockenstube und weit geöffneten Schalllöchern und int Sonnenglanz leuchtendem goldenen Kreuz. So geht's fort von einem Flecken zum anderen und der würdige Pfarrer hat's eben nicht schwer, den Amtsbruder frettndnachbarlich zu besuchet! oder sich von ihm nötigenfalls vertreten zu lassen. So gut haben es österreichische evan­ gelische Pfarrer nicht. Unter 150 Psarrgemeinden, 104 Filialgemeinden augsburgischen und 92 Psarrgemeinden, 9 Filialgemeinden helvetischen Bekenntnisses war Ende 1901 das ganze gewaltige Ländergebiet der österreichischen Kronländer verteilt. Die wenigsten Filialgemeinden haben eigene Seelsorger, so daß nur etwa 250 Pfarrer den Parochien vorstehen. Ende 1899 waren nur 468.993 Evangelische beider Bekenntnisse gegenüber 19,490.000 Katholiken in Österreich vorhanden. Es gibt evangelische Parochien, die halbe Kronländer umfassen. Das Herzogtum Salzburg hat 7163 Quadratkilometer mit 173.510 Einwohnern und nur eine evangelische Gemeinde. Wenn man von Wien durch die Kronländer Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und Tirol an die italienische oder schweizerische Grenze über Linz, Salzburg, Innsbruck reist, so legt man bis Ala 797 km, bis Bregenz 787 km zurück. Aus diesen gewaltigen Strecken berührt man an der Bahn nur 5 evangelische Kirchorte, außer Wien und seinen Filialen noch St. Pölten, Wels, Linz, Salzburg und Innsbruck. Allerdings durchreist man rechts und links der Bahn, bald näher, bald ferner derselben gelegene evangelische Parochien, eine in Niederösterreich, Wiener Neustadt, 17 in Oberösterreich und im Salzkammergut und Meran tu Südtirol. Oesterreichische evangelische Pfarrgebiete haben einen Umfang wie mancher Bischofsprengel. Nur fehlen die bischöflichen Einkünfte und Untertanen. Seine Parochie ist für den österreichischen Pfarrer eben nur der Bezirk seiner Zuständigkeit oder seiner gesetzlichen Wirksamkeit. Wo immer in diesem weiten Gebiet seiner Parochie Evangelische wohnen, sind sie an ihn gewiesen. Erhält wo in Oesterreich ein Pfarrer seine Parochie, so wird er fürs erste sich auf Reisen begeben. Er bereist seilt Gebiet und stellt sich hellte in einer Stadt, morgen in einem kleinen Flecken, dann wieder auf einem einsamen bäuerlichen Hof oder in einer Fabriksgegend oder auf dem Herrenhause eines zltgezogenen Gutsbesitzers vor. i

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