Eine österreichische evangelische Parochie

21 gegenwärtige Zustand des evangelischen Schulwesens bei uns muß geradezu als ein trostloser bezeichnet werden. Hunderte von Gemeinden haben teils aus 9fot, teils aus Fahnenflucht die evangelischen Schulen aufgelassen. Es muß das nächste und festeste Ziel jeder Gemeindebildung die Errichtung einer leistungsfähigen evangelischen Schule sein und Luthers Mahnwort deswegen sollte jeder Presbyter auswendig wissen: „Ich bitte euch alle, meine lieben Herren und Freunde, um Gottes willen und der armen Jugend willen, wollet diese Sache nicht gering achten, wie viele tun, die nicht sehen, was der Fürst dieser Welt gedenkt. Denn es ist eine große, ernste Sache, da Christi und aller Welt viel an liegt, daß wir dem jungen Volk helfen und raten. Damit ist auch uns allen geholfen und geraten."*) In der Diaspora wird jede Amtspflicht doppelt so schwer wie anderswo und ist zwiefach so ernst zu nehmen. Wie von der Schule, so gilt das auch vom Gottes­ dienst und von der Predigt. Auch in unseren Diaspora-Stadtgemeinden pflegt der Kirchenbesuch gut zu sein, wenn auch nicht in dem Maße, wie in den Landgemeinden. Auch fehlt es fast an keinem Sonntag an katholischen Zuhörern. Was predigen wir? Die großen Hauptthemen der Katechismuswahrheiten, die Grundelemente des Christen- tums, die schristgemäße Berechtigung unseres evangelischen Glaubens und dann alles, was dazu dient, evangelisch-protestantische Charaktere zu erziehen. Würden solcher mehr in den Gemeinden erwachsen, so stünde es bester um sie. Gleichgültigkeit, Feigheit und weichliche Nachgiebigkeit treten oft genug unter uns zur Schmach und Schande auf und manche rühmen sich dabei noch, während sie doch nur die Kehrseite protestantischer Tugenden besitzen. „Schäme dich des Evangeliums nicht", das in die verächtlich behandelten und gedrückten Gemeinden hineinzurnsen, haben wir leider viele Ursache. Daneben allerdings auch das andere: Habt nur mutigen Glauben an die evangelische Wahrheit! „Fürchte dich nicht, du kleine Herde!" „Zion, in dem letzten Kamps und Strauß halte aus!" Die ungeheure Macht und Pracht der römischen Kirche gegenüber der eigenen armseligen und gedrückten Lage macht doch manchen bange, so daß er verzagt, die freudige Siegeszuversicht verliert und vergißt, wie reich unsere Kirche in aller ihrer äußeren Armut ist. Sie werden gern gehört, solche Predigten, und schaffen dem angefochtenen, verunglimpften Bruder, der einsam in der Diaspora lebt, auf lange Zeit Trost ins Haus und ins Leben. Zwar suchen wir auch solche weit Entfernte zu erreichen. Allwöchentlich geht aus dem Pfarrhause eine stattliche Anzahl von Drucksachensendungen aus; Predigten, Sonntagsblätter, Gustav-Adolf-Blätter: unsere Grüße und Besuche für die fast Unerreichbaren. Gern unterzieht sich hier eine Pfarrfrau, dort eine Dame aus der Gemeinde dem Versandgeschäst und mit nicht geringerer Freudigkeit begrüßen die einsamen Empfänger die Sendungen als einst die Urgemeinden die Briefe der Apostel. Werfen wir nach dieser Beschreibung der inneren Gemeindearbeit einen kurzen Blick auf ihre jetzige äußere Lage. Gleich dem Bahnhof Steyr gegenüber, im höher und gesünder gelegenen Teile der Stadt, liegen im geräumigen, mit eisernem Gitter umzäumten Garten die freundliche Kirche und das bequeme Pfarrhaus. Beide verdanken ihren Bau wesentlich den Bemühungen der energischen, glaubensfrohen Männer, des früheren Pfarrers Erich Stökl, jetzt in St. Pölten, des Kurators Matthias Seiler und *) An die Ratsherren deutschen Landes, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen. 1524.

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