Eine österreichische evangelische Parochie

19 an, in unseren Gemeinden die Macht des allgemeinen Priestertums zu pflegen und zur Anschauung zu bringen, was wir glauben, das; das Evangelium das ganze Leben verklärt. Wir sind uns der Missionspflicht und -Leistung unserer Gottesdienste wohl bewußt, aber die anziehendste Macht ist uns die innere Schönheit, Wahrheit und Herrlichkeit unseres Gemeindelebens. Unmittelbare Mission unter Römischen ist uns verboten, scheint uns auch dem Evangelium zu widersprechen (Matth. 23, 15), aber an den Gemeinden sollen jene erkennen, daß die Rede von unseren Vorzügen keine Fata Morgana ist. Es ist zwar kein schönes Wort, aber eine unerläßliche, höchst wichtige Sache, die wir mit dem Ausdrucke: Evidenzhaltungsregister der Gemeinde bezeichnen. Jeden Einzelnen in Sicht behalten, das ist die Aufgabe. Die kirchliche Oberbehörde schreibt diese Personalregister oder Gemeindebücher vor. Zumeist übermitteln die städtischen Meldeämter bereitwillig die Namen der neu anziehenden Evangelischen. Sie werden dann aufgefordert, die kirchlichen Meldebögen auszufüllen, aufgesucht und in den Bannkreis der Gemeinde gezogen. Es ist eine der ersten Obliegenheiten eines neuen Pfarrers, diese Register zu studieren und aus Grund derselben jedem nachzugehen. Diese äußerliche Sache hat die größte Bedeutung für das innere Leben unserer Gemeinden. Soll ein weiteres Stück unserer gemeindebildenden Arbeit genannt werden, so müssen wir auf die allbekannten 'evangelischen Familien- oder Gemeindeabende hin­ weisen. Sie haben sich in den Städten ziemlich gut eingebürgert und sind, wo sie im rechten Geist veranstaltet werden, segensreiche Mittel der Wirkung nach außen wie nach innen. Hier blüht evangelischer Frohsinn und edle, lehrreiche Unterhaltung. Hier nimmt mancher den Eindruck mit, daß es Höheres gibt, als Wirtshausleben und Kaffeehaustreiben. Hier lernt mancher, edle Kunst von eitlem Flitter zu unter­ scheiden und manches gute Wort, das in der Kirche doch nicht gesagt werden kann, findet hier seine Statt. Das Wichtigste bleibt indes nächst Gottesdienst und Seel­ sorge der Religionsunterricht der Jugend. Schmerzlich muß der Mangel einer evan­ gelischen Schule auch in Steyr beklagt werden. Landgemeinden können sich die konfessionelle Schule eher leisten, als die Stadtgemeinden. Erstere kommen mit minder organisierten, ein- bis höchstens dreiklaffigen Schulen aus, die letzteren müßten un­ erschwingliche Summen aufbringen, um mit den öffentlichen, meist fünf- bis achtllaffig organisierten Schulen in Wettbewerb treten zu können. Auch der toleranteste katho­ lische Lehrer erzieht doch nun einmal nicht evangelisch, ganz zu schweigen davon, daß unsere angeblich interkonfessionellen Schulen tatsächlich katholische sind. Wo die Kirche am Ort ist und der Pfarrer als Katechet den Religionsunterricht erteilt und Kinder­ gottesdienst abhält, wie in Steyr selbst, mag der Mangel einigermaßen zurücktreten, aber draußen im weiten Sprengel der Gemeinde, wo das Kind nur katholische Kirchen sieht, nur katholisches Kirchenwesen kennen lernt, und vielleicht noch nicht einmal in der evangelischen Kirche, sondern daheim oder im Rathaussaal oder im Gasthaus­ zimmer konfirmiert wird, was entbehrt es doch ba‘< Das Vaterunser beten ihrer viele katholisch, wenn sie zum erstenmale in den Religionsunterricht kommen, den englischen Gruß können sie, aber nicht ein evangelisches Berschen oder einen Spruch, Heiligentage und Fasching haben sie feiern sehen, aber kein Reformationsfest, keine Paffionsandachten im evangelischen Geist. Wie sollte es auch anders sein bei den

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