Karl Eder - Glaubensspaltung und Landstände in Österreich ob der Enns

61 selbst mit einer allgemeinen kirchlichen Umwälzung rechnete. An ver- schiedenen Orten besaß der Pfa rrer eine zweite Pfründe außerhalb des Landes, wohin er sich zurückzuziehen gedachte, wenn er sich hier nicht „betragen" möchte. Kirchen- und Pfarrhofgebäude werden häufig als verfallen und baufällig bezeichnet. Arge Zerrüttung herrschte bei nicht wenigen Kirchen- und Pfründenvermögen. Verschiedene Angaben in den Visitationsberichten entpuppen sich bei kritischer Überprüfung als Verschleierung des in Wirklichkeit viel düstereren Sachverhaltes. So hatten alle Orte die Zahl der Kommunikanten anzugeben, aber nur ganz wenige Pfarrer erklärten dazu, daß viele Leute überhaupt nicht zum Sakrament gingen. Es ist ferner nicht ersichtlich, wie es mit der Kommunion unter beiden Gestalten stand. Drei bis vier Benefizien waren vielfach in eine Hand zusammengezogen, v iele Bruderschaft en bestanden nur mehr auf dem Papier. überall ertönte die Klage über die vnschiedenen irrigen Sekten, die eingerissen waren und viel Volle der alten Kirche entfremdeten. Das Bild der Zustände war das eines alten Baumes, an dessen Mark der Wurm nagte, dessen Zweige und Äste weitgehend verdorrt waren und zu dessen Füßen vom Sturm wegge- rissene Äste lag·en. Noch beklagte sich das Volk, daß auf die Filialen und Zukirchen die längste Zeit kein Priester herauskam, aber diese Klage ist mehr die Beschwerde über eine nicht geleistete Schuldigkeit, auf die es einen Rechtsanspruch hatte, als der Kummer über den ent- gangenen Gottesdienst. Die Kommission selbst zeigte auf den wunde- sten Punkt der Lage, auf den Mangel an gelehrten und geschickten Pfarrern, ,,die das Wort Gottes nach christlicher Ordnung zu führen und den widerwärtigen Sekten mit Grund zu widerstehen wüßten". Man muß sich angesichts der allgemeinen religiösen Zersetzung fragen, wo- her überhaupt noch Nachwuchs an Klerus kam und mit welcher Vor- bildung diese Kandidaten zur Weihe schritten. Von der Mitte des sech- zehnten J ahrhunderts an darf an den Klerus, was seine Verfassung und seine Leistungen anlangt , weder der Maßstab der Vorreformation noch der Maßstab de r kirchlichen Erneuerung etwa nach 1630 angelegt wer- den. Ein kri tisches Urteil wird vielmehr stets den fortdauernden Um- sturzcharakter der Zeit, die Lösung aller Bande und die dunkle Unge- wißheit der künftigen Entwicklung im Auge behalten. Ferdinand nahm Ende 1545 zu den Ergebnissen der Visitation Stellung. Es entspricht dem Grundcharakter der Visitation und der Auffassung des Königs von den Pflichten des Landesfürsten gegen die Kirche, wenn sich Ferdinand als oberster Vogt der Kirche bezeichnete. Der König beschäftigte sich begreiflicherweise mit dem Ergebnis der Visitation in finanzieller Hinsicht, die Ordnung der kirchlichen Fragen scheint er Passau überlassen zu haben. Er stellte zunächst die Ver- pfändung und den Verkauf zahlreicher Gilten und Güter bei Stiften, Klöstern, Propsteien, Pfarren und Kirchen fest und bezeichnete den Abfall und die Schmälerung· der geistlichen Stiftungen als Folge dieser ohne sein Wi ssen erfolgten Veränderungen. Dann forderte er als ober- ster Vogt binnen vier Wochen die Einsendung der Konsensbriefe und

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