Karl Eder - Glaubensspaltung und Landstände in Österreich ob der Enns

34 C. Das Wiedertäufertum und seine Bedeutung für den Gang der Glaubensspaltung. Die schwere soziale Krise im ersten Viertel des sechzehnten Jahr- hunderts hatte nicht nur in der Bauernschaft und im Kleinadel eine re- volutionäre Stimmung erzeugt, sondern sie erschütterte auch die wirt- schaftlichen Grundlagen des städtischen Handwerkertums. Als Luther die kirchliche Ordnung umstürzte, klaffte zunächst im Denken und Empfinden weiter Volkskreise eine Lücke, denn der Ausbau der luthe- rischen Landeskirche vollzog sich sehr viel langsamer als die Zertrüm- merung der alten Kirche 71 ). Die auf die Bibel allein hingewiesenen Geister gerieten bei dem Mangel an Führung und Vorbildung zu den seltsamsten Anschauungen und zu fast krankhaft anmutenden Schwär- mereien. Ein Teil dieser Menschen, hauptsächlich Geistliche und Hand- werker, schritten auch über die Autorität der HI. Schrift hinaus und setzten an ihre Stelle die innere Stimme, den zur Seele unmittelbar redenden Geist Gottes. Zugleich übernahmen sie den freiwilligen Kom- munismus der Urgemeinde des Christentums als allgemeines Sozial- programm. Eine lockende Verheißung angesichts der schweren sozialen Nöte und der Schäden in der alten Kirche, der zur Phantastik neigen- den Anlage des Süddeutschen, der Auflockerung dogmatischer und ·rechtlicher Begriffe durch die Mystik und der gesteigerten Enderwar- tung. Die Apokalypse war Trumpf! Wer sich je in Dürers Holzschnitt- werk „Die heimliche Offenbarung Johannis" versenkt hat, kann etwas von der Glut und vom Unheimlichen dieser Erwartung verspüren. Schreck- liche Gegensätze erwuchsen auf dem Boden der Zeit. Man hört die fromme Weise des Kindergebetes und den heiseren Schrei beutetrunke- ner Rotten, man sieht das Lamm auf der grünen Au und Brandfackeln, von tollen Verbrechern in Klöster und Schlösser geschleudert. In- wendig gerichtete Menschen wandeln vorüber, die Stillen im Lande,, scheu, fast für ihr Dasein um Verzeihung bittend und leidbereit, aber hinter ihnen rasen die Dämonen der Gemeinheit. Die gefalteten Hände und die von Menschenblut rote Hacke sind so nahe aneinandergerückt,, daß der Blick auf diese Vorgänge immer wieder das Gefühl der Un- heimlichkeit und die Überzeugung von der schweren seelischen Erkran- kung der Zeit heraufbeschwört. Es sei glei~h vorweggenommen, daß das T ä u f e r t u m i m L a n d e o b d e r E n n s ein durchwegs friedliches Gepräge zeigte, aber die Erfahrungen anderer Länder legten dem Landesfürsten höchste- Achtsamkeit nahe. Das Luthertum und das Wiedertäufertum traten im Lande ob der Enns wohl ungefähr gleichzeitig hervor und im Anfang war eine reinliche Scheidung beider Richtungen überhaupt nicht mög- lich. Die Zuweisung verschiedener Geistlichen, die der alten Kirche den Rücken kehrten, ist schwierig, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie selbst ihre Zugehörigkeit änderten. Auch im Adel bestand darüber keine Klarheit, manche Herren und Ritter hatten vorübergehend aus- 71 ) Tumbült G., Die Wiedertäufer, S. 8.

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