Karl Eder - Glaubensspaltung und Landstände in Österreich ob der Enns

302 sächlichkeiten trieb man vielfach mit zäher Breitspurigkeit durch die Verhand lungen und Kanzl eien. Man darf fe rner die Schriften nicht anders denn als Klage und Gegenklage oder als Anklage und Ver- teidigung auffassen. Dabei fällt die H e mmung s 1o s i g k e i t i n d c r Wahl d e r M. i t t e 1 auf. Im allgemeinen galt der Grundsatz, erlaubt ist, was meiner Sache nützt. Keine Seite hat sich in der Leiden- schaft des Kampfes von Mißgriffen freigehalten, doch tritt ein bemer- kenswerter Unterschied zwischen der Regierung·spolitik und der Stände- politik zutage. Die Beweisführung der drei weltlichen Ständen griff zu Gedanken und Gründen, von denen man unmöglich annehmen kann , daß sie die Stände selbst geglaubt hätten. Der Text entscheidender Abmachungen und Vereinbarungen liebte häufig· das Dunkel. Man ge- winnt den Eindruck, daß Unklarheit und Dehnbarkeit mit Absicht an- gestrebt wurden. Andrerseits gleitet das Auge rasch über harmlos aus- sehende Wendungen hinweg, hinter denen sich Entscheidungen von großer Tragweite verbergen. Man muß sie wiederholt und immer wie- der lesen, bis man im Bilde ist, was di ese Worte bezwecken . Kniff und Finte beherrschten das Feld so stark, daß man nur bei der An- nahme: das Jahrhunder t benahm den Worten ihre Bedeutung, ni cht am gesunden Verstand der Männer am Webstuhl der Zeit verzweifelt. Ma- chiavellis Geist begann in den Kanzleien, Vorzimmern und Empfangs- räumen Schul e zu machen, aber es war nicht die hohe Schule, die sogar der amo ra.l en oder unmoralischen Tat noch einen Schimmer von Größe verl eiht, sondern Mittel- und Kl einzuschnitt der Bedenkenlosig- keit . Dolche wuTdeu nicht nur an der Seite, Morgensterne und Drischeln nicht nur über den Schul tern getragen. Der um die hohen Güter der Religion geführte Kampf schien auf das Flachland g·ewöhnlicher poli- t ischer Tag·eshändel niedergezerrt . Eines besonders scharfen Ohres bedarf es, um im Wortgetöse der Pol emik ursprüngliche, also e c h t e r e l i g i ö s e L e b e n sä u ß e- r u n gen zu vernehmen. Das ga.nze relig'iöse Leben unterlag weithin der llfache und der Agitation. Man ist betroffen über die Naivität und -u nwissenheit vieler Personen in Glaubensfragen, für die sie kämpften oder zu kämpfen vorgaben. Gewiß, e.- gab ni cht wenige in der Re- ligion und in der Bibel unterri chtete Zeitgenossen, und man braucht in rler ausgedehnten Verwendung, besonders des Alten Testamentes, in hochpolitischen Ständeschrif ten nicht immer an di e Mita rbeit von P rä- dikanten zu denken, abe r di e Mehrzahl des Volkes war religiös un- wissend und in seiner Rat- und Hilflosigkeit wesentlich von den „Vor- gehern" a.bhäng· ig. Und doch bricht nicht selten in einer Wendung, in einem Sprichwort, in einem an sich bela.ng· losen Nebenumstand , eine Äußerung echten religiösen Lebens durch, die dem Kenn er mehr sagt al::; all er Aktenwust. Aus diesen Äußerung·en spricht meist herbe Trauer über den Zustand der Relig·ion. Die Leiden, welche di e furchtbaren Zeitvorgänge ge rade den tiefer veranlagten Menschen auferlegten, nö- t igen nicht nur dem Christen, sondern auch dem Geschichtsforscher leb- haftes Mitgefühl ab. Auf keinen Fall dürfen sie bei der Darstellung der äußeren Geschehnisse übersehen werd en.

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