Karl Eder - Das Land ob der Enns vor der Glaubensspaltung

256 IV. Kreuzgänge und Kirchfahrten. 1. Zu den ältesten Ausdrucksformen katholischer Frömmigkeit ge- hören Prozessionen und Wallfahrten. Diese Übungen stehen im Zu- sammenhang mit dem gemeinsamen Bittgebet und mit der Heiligen- und Reliquienverehrung. In langer wechselreicher Geschichte wurzeln sie tief im religiösen Volksleben und Brauchtum und umhegen ältestes Glaubensgut. Der Besuch mancher so reizend gelegener Wallfahrts- orte ist ein Überrest aus heidnischer Vorzeit, den die weise Mis- sionstätigk:eit der Kirche nicht zerstörte, sondern verchristli chte. Die ehe- d em heidnischen Kultstätten auf Berg·- oder Hügelkuppen vertauschten die Opfersteine mit dem christlichen Altar und wurden verschiedenen Heiligen unterstellt. Das Spätmittelalter war überreich an Kreuz- gängen und Kirchfahrten. Sie verliehen dem kirchlichen Leben einen farbenfrischen Zug und müssen nicht nur als bedeutsame religiöse, son- ,dern auch als kulturelle und wirtschaftliche Erscheinung gewürdigt werden. Die Geschichte der größeren Wallfahrtsorte gehört nicht nur in die Kirchen-, sondern in die Kulturgeschichte eines Landes. Orts- bildung und Herbergswesen, Kunstgewerbe und Stiftungen, Lied und Bild, Geschäftsleben und Mildtätig·lrnit, Lebensformen und Bräuche wurden wesentlich durch die Wallfahrten beeinflußt. Dennoch waren diese Auswirkungen nur der Rahmen, der den Kern der Sache um- schloß: Bet- und Bußgeist, Weckung von Trost und Hoffnung, Ent- fachung von Glaubens- und Lebensmut in Kümmernissen des Daseins und Seelenwirren. Das letzte Geheimnis der „Gnadenstätten" ist un- faßbar. Es wird sich nie darstellen lassen, welche Kraft gläubig·e Seelen sich dort geholt haben. Wer je eines dieser stillen vom Reisestrom abgelegenen Heiligtümer aufgesucht hat, wird sich der starken Gefühl e e rinnern, die ei1 dort erlebte. Waldschweigen und Weite der Natur wecken Ehrfurcht und weisen den Menschen nach innen. Die Gedanken schweifen zurück in die Frühzeit des Christentums, man wird hell- sichtiger für alte einfache Formen der Religion. Die Anfänge des Christentums in der Waldzeit der Vergangenheit, die innige und selbst- verständliche Berührung von Religion und Na tur, eine ganz starke Gläubigkeit, der Gottesdienst einfacher Menschen, gehen unserem Auge auf. Umgänge und Kirchfahrten, leib-seelisches Tun des ganzen Men- schen, machten die ganze Welt zum Gotteshaus. Selbstverständlich zogen diese Formen auch' aus anderen Gründen Nahrung. Reiselust und Neugierde, Freude am Schauen und Erleben, Veräußerlichung und Aberglaube begleiteten sie nicht nur manchmal, sondern bedrohten auch den wertvollen Kern. Für die V o 1k s t ü m l i c h k e i t der Prozes- sionen an und für sich spricht (nichts so deutlich, als daß zur Zeit der Glaubensspaltung, da sie längs t ein Gegenstandi erbitterter Bekämpfung durch die Protestanten geworden waren, die Bevölkerung den von der Behörde angeordneten Umgängen als Bitt- und Dankgottesdiensten bei -den Türkenkriegen, Pest- und Sterbeläufen, willig entsprach. Dagegen wurde der U m g a n g a m G o t t s 1e i c h n a m s t a g infolge der protestantischen Abendmahlslehre ein Gegenstand grimmigster Kämpfe. Die letzte Feier des Fronleichnamsfestes, das jahrzehntelange Ver-

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