Karl Eder - Das Land ob der Enns vor der Glaubensspaltung

177 Flamme aufs neue stärker entfachte. Die Sozialgeschichte zeigt indes, -daß diese aus einem anderen Nährboden gespeiste Fürsorge ein wesent- .lich anderes Aussehen hatte. Die Grundfläche hatte sich bedeutend verengert, anstatt des allgemeinen Gedankens vom Bruder in Christo war eine von oben getragene Fürsorgetätigkeit a uf den Plan getreten, stark nach Sondergebieten abgrenzt und strenge verbeamtet. Noch kann von einer religiösen Grundfläche gesprochen werden, aber die Kirche war beiseite gedrängt und das Christentum schon auf ein Neben- geleise geschoben. Warnend war über Europa kurze Zeit die Forde- ·rung „soziale Gerechtigkeit" emporgestiegen. Der Ruf war gemischt. Zur Hälfte entrang er sich dem immer mehr erkaltenden Erbe der christlichen Vergangenheit, zur Hälfte grollte in ihm bereits der Schrei de r Massen, die sich zur Selbsthilfe anschickten. Dann wurde es wieder s tiller und in diese trügerische Stille fiel das verhängnisvolle Zu- sammentreffen von Kapital, Maschine und Handel, welche mit zu- nehmender Geschwindigkeit die Entwicklung bis zur Weltkrise der Gegenwart führt en. Ein fur chtbares Bild tut sich dem Auge auf, die immer größeren Massen der Enterbten und der Abfallsprodukte dieser „Wirtschafts- ordnung" und auf der anderen Seite, richtiger unsichtbar mitten unter den Verarmten, die kleine Schar der überreichen. Die Rückwirkungen bedrohen den Bestand der menschlichen Gesellschaft. Man muß zur Feststellung der Ursachen dieser ungeheuerlichen Fehlentwicklung ·genau die kranke Wirtschaft und ihre Organisation und die grund- legenden Ideen, welche zu dieser Wirtschaftsform führt en, unter- -scheiden. Beide Komponenten waren an der Wende zur Neuzeit wesent- l ich andere. Weder erzeugte die Bedarfswirtschaft Abfallsprodukte unter den sie bedienenden Menschen, noch war die unheilvolle Tren- .nung von Religion und Arbeitsleben vollzogen, welche die Arbeit zur ·Religion der Werktage machte und den Schwerpunkt menschlichen Strebens in das Diesseits verlegte. Die in diese wirtschaftliche Lage 'hineingestellten Menschen konnten, zumal bei der so starken weltan- schaulichen Hinterlage, im allg·emeinen nicht in so schweres Unglück geraten wie ihre unter wesentlich schwierigeren Verhältnissen ar- ·beitenden Nachfahren. So sehr man sich zu hüten hat, Gegenwarts- anschauungen in das 16. J ahrhundert hineinzutragen, belichtet doch -der Gegensatz die Gesamtlage von einst schärfer. Es ist begreiflich, daß im Rahmen dieser Wirtschaftslage die so- "Zialen Sicherungen nicht die Rolle von heute spielen konnten. Solange Wirtschaftsleben und Wertung des Menschen gesund waren, be- ,schränkte sich die Hilfe für die Bedürftigen notwendig auf Ausnahms- fälle. Es entspricht der jedem Zentralismus abholden Zeit, daß die Ob- sorge für Arme, Kranke und Alte nicht dem Staat oder den einzelnen Ländern, sondern den Gemeinschaften zufiel, welche dem Bedürftigen .am nächsten standen, nämlich seinem „Stand" und der „Pfarrmenig". Wo nicht Städte und Märkte, geistliche und weltliche Grundherr- ·s chaften eingriffen, stand die soziale Fürsorge vornehmlich bei der Pfarrmenig. Diese war der lebendige Träger der Überzeugung, daß es ·mnter Christen unerhört sei, hilflose Mitchristen verkommen zu lassen. 12

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