Karl Eder - Das Land ob der Enns vor der Glaubensspaltung

172 gen und ihre Bedeutung für das liturgische und Volksleben unterrichtet , ist ebenso aufschlußreich für die Erkenntnis von der grundlegenden Tragweite der Heiligenverehrung. Sie lehrt uns vor allem die Tat sache, daß die Heiligenfes te, ihre Daten, ihre Hintergründe samt den Hei- ligenviten dem Volke durchaus vertraut waren. Heute sucht man nach Namen und Fes ten im Kalender, einst waren diese im Gedächtnis des Volkes so lebendig, daß man alle Vorkommnisse des Berufslebens und besonders des Wirtschaftsjahres nach Heiligentagen datierte. J eden Urkundenkenner erfreuen immer wieder die prächtigen Datierung·en nach Heiligenfes ten, die auf das lebendigst e die allgemeine Vertraut- heit mit dieser sakralen Welt bekunden. Besonders die Stiftungs- urkunden sind gewi ssen Merkmalen zufolge auch Dokumente für die Heiligenverehrung. In der Motivation ist deutlich die Förderung des Kultes bes timmter Heilig·er erkenntlich. Die Tage der Stiftungsverbind- lichkeiten sind mit Heiligenfes t en und deren Oktaven ausgezeigt , ·die Fälligkeitstermine der Taxen und Leistungen von Grundholden mit Hei- ligentagen bes timmt. Eingehendes Studium ergibt zahlreiche Verbin- dungsfäden zwischen diesen Tagen und den Namenstagen der Stifter oder dem Patrozinium der Kirche oder eines Altares. Kurz man sieht, die Heilig·enverehrung war mit Herzblut erfülltes Leben, nicht der Ge- genstand geschichtlicher oder volkskundlicher Studien. So tritt uns mit der Heiligenverehrung in der Zeitspanne vo r der Glaubensspaltung eine Ausdrucksform der Frömmigkeit entgegen, die in ihrer verwirrenden Vielgestaltigkeit und Buntheit weithin das re- ligiöse Leben kennzeichnet . Es ist unverkennbar, daß neben kostbaren Werten auch G e fahr e n und Sc häd e n lauern. Zu enge Auf- fassung von der „Kraft" der Heilig·en, Überbetonung dieser Form auf Kosten zentraler Glaubensgedanken, die Möglichkeit einer gewissen Veräußerlichung, Verwischung der Grenz en zwischen Geschichte und Legende, Mirakelglaube und eine mehr spi eleri sche Beschäftigung· mit den Gestalten dieser Welt bestehen in manchen Fällen tatsächlich. Der Grundgedanke jedoch, di e Gemeinschaft der Heiligen und die große Lebensnähe der damaligen Menschen zu den Vorbildern ihres· Glaubens, verdient alle Bewunderung und wird als Beispiel enger Verlmüpfung von Religion und Leben immer denkwürdi g· bleiben. Dritter Teil. Die Reliquienverehrung. Zum Verständnis der Reliquienverehrung vor der Glabensspaltung ist es unerläßlich, einen Blick auf die Entwicklung dieser Frömmigkeits- form zu werfen. Die mit dem Heiligenkult entstandene Reliquienver- ehrung reicht bis in das christliche Altertum zurück, bildet e sich aber erst im Frühmittelalter aus. Gregor der Große erklärte es als ein Sa- krileg, einen Heiligenleib anzutasten und bis in das 8. Jahrhundert fand en in Rom keine Translationen zum Zwecke der Reliquienverehrung statt. Erst seit dem 8. Jahrhundei:t begannen die Verschenkungen v o11 Heiligenleibern, ganz oder in Teilen, nach Frankreich und Deutschland, obwohl Karl d. Gr. und Alkuin sich scharf gegen die damaligen Beweg- g·ründe der Reliquienverehrung ausgesprochen hatten. Die Gier nach Re-

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