Karl Eder - Das Land ob der Enns vor der Glaubensspaltung

137 spiel einer visionell gerichteten Zeit ist , sondern daß in ihr das soziale Grundelement der versinkenden Ära, der g r o ß e S t ä n d e g e- d a n k e, seine r e 1i g i ö s e W e i h e empfangen hat. In der Altar- und Kirchenausstattung läuft das kirchlich verbrämte Zunft- und Bruder- schaftswesen des Mittelalters aus. Mit Staunen sieht man, wie in diesen Gruppen und Szenen alles an seinem Platz ist , nichts herausgerissen und haltlos, wie die Vertreter aller Stände nebeneinander stehen oder knien und alle durch die beherrschenden religiösen Gedanken zu glück- licher Einheit zusammengefaßt sind. Es gibt da keine Ausgestoßenen, Preisgegebenen, Enterbten, auch des Dürftig·en und des Bettlers Anteil und Würde ist g·esichert. Nicht nur erlebte Religion, sondern auch stärkster sozialer Geist strahlen von di esen Schöpfung·en aus, die keineswegs nur rein religiös oder ästhetisch, sondern ganz wesentlich sozial gewürdigt sein wollen. Zeit war noch nicht Geld, Armut keine Schande, Mangel an Wissen und Besitz mußte noch ni cht mit Schmäle- rung der Menschenwürde g·ebüßt werden. Noch hält den „gemeinen Mann" und die kleinen Leute der Glaube an Gericht und Vergeltung, noch spricht zu den Großen und Mächtigen, von Papst und Kaiser an- gefangen, ein wahrhaft ergreifender Freimut. Pie Zeit ist stark g·enug, au unwürdigen Vertretern der höchsten Stände in der Hölle auf Bildern keinen Anstoß zu nehmen. Und so stehen in den Bilderbüchern der Schnitzaltäre, unter den Gestalten der Allerheiligengruppen, der Schutz- mantelmadonnen und Vierzehnnothelferfriese Kleriker und Laien, Männer und Frauen, Vertreter hoher und niederer Stände. Da ist der Herregott und sein fleischg·ewordener Sohn, die gehaltene Fülle der Kraft und edelste männliche Kraftentfaltung·, da ist die taufrische An- mut unserer lieben Frau, deren Haupt von der schweren Goldkrone fast niedergezogen wird zu den Andächtigen, da blicken die schmalen Rassegesichter alter Herrengeschlechter und die derberen von Bürgern und Bauern hernieder zu den Beschauern, da drängen sich auch Knechte und Mägde, tummeln sich Kinder und Jungvolk. Von der Predella über den Schrein bis in das Gespreng·, als Flügel- und Aufsatzfiguren, auf Halbrelieftafeln und Bildern, überall lebenswahre Gestalten, heraus- gegriffen aus dem Volke unserer Vorfahren. D e r s o z i a 1e S t ä n d e- g e d a n k e h a t s i c h d e r H e i 1i g e n v e r e h r u n g b e d i e n t , um seiner Zeit das zu verkünden, was er ihr zu sagen hatte. Es kann nicht stark genug unterstrichen werden, wie sehr h i n t e r d e r H e ilig e nv ere hrung und d e n Altarstiftung e n di e s o z i a 1e B o t s c h a f t d e s C h r i s t e n t u m s an d i e M e n s c h- h e i t steht: Erdenleben und Berufsarbeit als Aufgabe, der Primat der Seele vor den Sinnendingen, der große Ausgleich im Jenseits für Wille und Werk. Daher auch die unübertroffene Wirklichkeitsnähe dieser Männer und Frauen, die nicht selten an Bekannte erinnern. Zwischen Kirchenbau und Altarstiftungen besteht ein enger Zu- sammenhang, aber doch ein Unters chi e d. Der Neu- oder Umbau einer Kirche muß als schweres Werk mit Hilfe aller getan werden. Die Bausorgen liegen jahre-, vielleicht jahrzehntelang auf den Schultern einer Gemeinde. Wiederholte Konsekrationen nach wichtigen Bauab- schnitten, wie die besonders begehrten Ablaßverleihungen, suchen die

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2