Karl Eder - Das Land ob der Enns vor der Glaubensspaltung

124 schöpferischer Antrieb zu verspüren wie an der großen Zeitenwende von 1450-1525. Der Reichtum der Spätgotik im Land ob der Enns zu dieser Zeit überrascht auch den Kenner der Landesgeschichte. Eine Welle der Erneuerung durchläuft als Auswirkung des Fruchtsegens der S p ä t g o t i k in allen deutschen Landen auch das Land ob der Enns. Weniger in den äußeren Bauformen, für die im „geringen Land" kein rechter Platz ist, als in der Gestaltung der Innenräume schafft der Geist dieser Zeit Unvergeßliches. Zwar künden vereinzelte Großbauten, wie die Stadtkirchen von Eferding und Steyr, auch den Willen zur ein- drucksvollen Außenform, aber die wirkliche Größe liegt im Wunder der .R. au m g es t a 1tun g. Der Blick auf das aufgeschlagene Bildbuch des Hauptaltares, die wunderbaren Netzgewölbe, das mystische Licht- Schattenspiel, das die etwas düsteren, häufig durch wuchtige Mittel- pfeiler zweigeteilten Räume mit dem Licht aufführen, das durch farbige Glasfenster bunt hereinfällt und das Gold der zahlreichen Altäre zum Aufschimmern bringt, die Maße und Formen der Flächen und Linien, die wie notwendig ein lebendiges geistiges Inneres umspannen, sind ein tiefes Erlebnis. Man fühlt am Atem der Raumseele das Wesen einer ganz anderen Zeit, für die der Glaube Leben, die Natur ein Wunder und das Wunder Natur war. Gebet und Arbeit, Träne und Lachen dieser Zeit waren anders. Glut der Empfindung und -Ergebung, aufgewühlte fordernde Frömmigkeit und Angst vor Hölle und Teufel, lauterste Klänge des Herzens und viel Düsteres, Unheimliches klingt aus der Sprache dieser Räume an das lauschende Ohr. Am meisten er- greift der mit viel gutem Willen aber geringen Mitteln aufgeführte Klein- oder Mittelbau, die echte Schönheit im ärmlichen Gewand, denn er spricht Gottes Lob am reinsten aus und redet am schönsten von Glaube und Liebe dahingegangener Geschlechter. Preis diesen Dorf- gotteshäusern und Kirchlein in der Einschicht draußen, die von Bienen und Schmetterlingen umflogen und vom Duft reifen Kornes und har- ziger Fichten umschwebt sind, sie erquicken auch heute noch manchen müden Pilger. In der Kirchenbautätigkeit des genannten Zeitabschnittes sind eigentliche N e u b a u t e n, U m b au t e n und K i r c h e n r e n o v a- t i o n e n zu unterscheiden. In den weitaus meisten Fällen handelt es sich um die zweite und dritte Art der baulichen Tätigkeit. Am häufig- sten sind Erweiterungen durch Anbau von Seitenschiffen, eines Quer- schiffes oder eines Presbyteriums, Umbauten durch Seitenkapellen") und Ausbauten besonders von Türmen. Technische Mängel und Bau- gebrechen älterer Bauten drängten zur Erneuerung der Kirchen. Andere Gotteshäuser fielen Elementarereig·nissen, besonders Bränden, zum Opfer (Freistadt, Steyr) oder wurden bei feindlichen Einfällen zerstört (zahlreiche Kirchen des Mühlviertels durch die Hussiten). Nicht zuletzt drängte das Wachstum der Orte und die steigende Bevölkerungszahl zu Erweiterungen der Kirchen. über diese Ursachen hinaus ist jedoch 74 ) Bei Kapellens tiftungen ist der Unterschied zwischen selbständigen Ka- pellen, z. B . auf Friedhöfen, Anbauten, z. B. ölberggruppen und inneren Kapellen- anlagen in der Kirche, z. B. der beliebten Ausgestal tung der Abschliisse von Seitenschiffen zu Kapellen, zu beachten.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2